Die Feuer von Córdoba
hatte ihn nicht nur verehrt, er hatte ihn sogar geliebt wie den Vater, den er niemals gehabt hatte, weil Pater Giacomo dafür gesorgt hat, dass er ermordet worden war. Galle stieg seine Kehle empor. Stefano schluckte sie hinunter, während Worte und Sätze wie Nebelfetzen an ihm vorbeischwebten .
»… Das Elixier der Ewigkeit ist fertig. Cosimo und ich haben es geschafft …«, »… Merlin hatte Recht, es ist fantastisch …«, »… mein Stiefvater wurde von einer Biene gestochen , der Arzt konnte ihn nicht retten, weil …«, »… Es hat funktioniert, mein Stiefvater ist tot. Der Weg ist frei …«, »… Cosimo soll Giovanna nicht bekommen …«, »… Blei ist die Lösung …«, »… alle Männer in meiner Familie haben sich als schwach und treulos erwiesen …«, »… nicht würdig, weiterzuleben …«, »… muss dem Herrn die Wege ebnen …«, »… bin ein Auserwählter …«
Von Seite zu Seite hatte das Tagebuch ihm weitere Tode und neue schreckliche Ereignisse offenbart. Er hatte lesen müssen, wie Pater Giacomo ihn gleich nach der Geburt seiner Mutter geraubt hatte, nachdem er mit einem vergifteten Trank die Wehen ausgelöst hatte. Er hatte von der seltsamen Schrift gelesen, die das Rezept für ein Gegenmittel gegen die Wirkung des Elixiers der Ewigkeit enthalten sollte . Und von Pater Giacomos Furcht, dass Cosimo vor ihm in den Besitz dieser Schrift kommen könnte. Er hatte erfahren müssen, dass sie in Wahrheit gar nicht dem Weg des Herrn gefolgt, sondern Jahr um Jahr vor Cosimo geflohen waren, nachdem Cosimo in Jerusalem die Schrift mit dem Gegenmittel in seinen Besitz gebracht hatte. Und jetzt wusste er auch, weshalb Pater Giacomo die Ketzerprozesse so vorangetrieben, weshalb er sich selbst und allen anderen kaum Ruhe gegönnt hatte – je weniger gelehrte, gebildete Menschen es im Reich gab, umso geringer war die Wahrscheinlichkeit , dass irgendjemand die verschlüsselte Botschaft von Merlin je würde entziffern und das Gegenmittel herstellen können.
Das alles klang abscheulich und verdammenswert. Und trotzdem konnte Stefano keinen Hass empfinden. Sein Herz war schwer von Trauer und Mitleid. Pater Giacomo war verwirrt , geblendet von der Macht, die ihm dieses verhängnisvolle Elixier der Ewigkeit versprochen und zum Teil sogar verliehen hatte. Im Laufe der Jahre hatte es mehr und mehr Besitz von ihm ergriffen, seinen Verstand umnebelt und sein Herz vergiftet, sodass er schließlich nicht mehr in der Lage war, Gut und Böse voneinander zu unterscheiden. Er war ein armes, verführtes Geschöpf. Nichts anderes. Tränen liefen ihm über die Wangen.
»O mein Gott, mein Vater im Himmel, wie kann ich ihm helfen? Wie kann ich seine Seele vor dem Verderben bewahren ?«
Die Antwort darauf kam fast von selbst. Seine Mutter hatte ihm bei ihrem Treffen in der Kathedrale von dem Gegenmittel erzählt. Es befand sich in ihrem Besitz. Er musste nur zu ihr gehen, sie darum bitten, und dann …
Stefano seufzte. Die Aufgabe, die jetzt vor ihm lag, war gewiss nicht leicht, und er hätte einiges dafür gegeben, wenn er einen anderen damit hätte betrauen können. Aber um Pater Giacomos willen musste er sich dazu durchringen. Früher oder später würde jemand ihm das Gegenmittel einflößen . Und wenn es schon geschehen musste, so sollte es wenigstens aus Liebe geschehen.
Das Ende
Es war schon spät, die Sonne ging bereits unter. Stefano hielt sich noch in der Schreibstube auf, wo er seit den Mittagsstunden einige der jüngsten Ketzerakten durchging – Akten über Menschen, deren Nachbarn sie aus Neid oder Rache denunziert hatten. Jetzt, mit dem Wissen, das er seit der vergangenen Nacht hatte, wurde ihm das klar. Ihm wurde schlecht, wenn er daran dachte, wie viele Unschuldige wohl in den vergangenen Monaten und Jahren auf dem Scheiterhaufen einen sinnlosen Tod gestorben waren, damit sich andere auf ihre Kosten bereichern konnten. Fassungslos schüttelte er den Kopf. Es fiel ihm schwer zu begreifen, dass er in all den Jahren nichts davon gemerkt hatte. Dass er wirklich der Meinung gewesen war, sie alle, jeder einzelne der Verurteilten sei ein Ketzer, ein Zauberer oder eine Hexe gewesen. Aber war da nicht die Stimme gewesen, die Stimme eines Engels, der in San Tomás zu ihm gesprochen hatte und ihn gescholten und gewarnt hatte? Und was hatte er daraufhin getan? Er hatte sie für die Stimme des Teufels gehalten, anstatt ihr zu folgen und von dem Bösen abzulassen. War er besser als Pater Giacomo? Hatte er
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