Die Feuer von Córdoba
herausfordern wollten. Selbst der Fluss schien hier ein anderer zu sein. Das Wasser kam ihm dickflüssiger vor, als hätte sich der lebendige Fluss in einen schlammigen toten Tümpel verwandelt, dessen giftiges Wasser jedes Leben ausgelöscht hatte. Auch war es schwarz und stank erbärmlicher als ein Höllenpfuhl. Und jede Welle, die gegen die maroden Stege wogte, schien Juan davor warnen zu wollen, seinen Weg fortzusetzen.
Er wäre gewiss auch wieder umgekehrt und fortgelaufen, zurück in die Sicherheit jener Viertel, die er kannte, wenn nicht in diesem Augenblick eine Tür nur wenige Schritte von ihm entfernt aufgestoßen worden wäre. Für einen kurzen Augenblick flutete der warme Schein von Kerzen und Fackeln auf die Straße. Stimmengewirr und raues Gelächter brandeten auf, lebendige Zeugen der Anwesenheit von Menschen, lebendigen Menschen inmitten dieses Albtraums. Im Lichtkegel sprangen die Ratten erschrocken zur Seite und huschten in die Sicherheit der düsteren Hauseingänge und Kellerlöcher. Dann schlug die Tür auch schon wieder zu, und alles war wie vorher – dunkel, still, unheimlich. Das heißt, etwas war anders geworden, denn Juan war jetzt nicht mehr allein. Ein Mann torkelte auf der Straße umher. Er kam direkt auf ihn zu. Mit rauer Stimme sang er ein Lied, dessen frivoler Text Juan die Schamesröte ins Gesicht trieb. Bereits von Weitem stank er nach billigem Wein, Schweiß und altem ranzigem Fett. Sein Mantel war löchrig, und der Saum schleifte auf dem Boden im Schmutz. Wahrscheinlich war es ein Bettler, der in der Schenke die zusammengebettelten Almosen des Tages bei einem Krug Wein und einer warmen Mahlzeit durchgebracht hatte. Betrunken, wie er war, musste es ein hübsches Sümmchen gewesen sein. Aber schließlich war immer noch Fastenzeit, und während dieser letzten Tage der inneren Einkehr und Buße waren selbst die geizigsten unter den Einwohnern von Córdoba freigiebig und edelmütig.
Juan wartete, bis der Betrunkene in eine der Gassen eingebogen war. Erst dann wagte er es, sich der Schenke zu nähern . Wenn die Tür den Bettler nicht erst vor wenigen Augenblicken ausgespuckt hätte, Juan hätte das Wirtshaus wohl kaum gefunden. Der Putz bröckelte von den Mauern, und an der Tür blätterte die in der Dunkelheit unbestimmbare Farbe in großen Placken ab und offenbarte darunter faulendes, wurmstichiges Holz. Ein verwittertes Schild hing schief in seinen Angeln über dem Eingang, und in der herrschenden Dunkelheit konnte er die schwarzen, stark verblassten Buchstaben »Zum durstigen Mönch« und den dicken gemalten Ordensbruder daneben eher erahnen als erkennen. Die beiden einzigen sichtbaren zur Straße gelegenen Fenster waren so vortrefflich mit Brettern zugenagelt, dass nicht einmal der kleinste Lichtschimmer durch die Ritzen nach außen drang. Das Haus machte den Eindruck, als hätten es seine letzten Bewohner bereits vor vielen Jahren verlassen. Und doch hatte er gerade noch vor wenigen Augenblicken aus der Tür Licht strömen sehen und Stimmen gehört. Zweifelnd blickte er zu dem Schild empor, das in einem plötzlich aufkommenden Windstoß gespenstisch quietschend hin und her schwang. Sollte dies eine Warnung sein?
Warum gehe ich nicht einfach nach Hause und lege mich in mein Bett? Weshalb treibe ich mich nachts in den finstersten Winkeln der Stadt herum? Nur weil mir eine verschleierte Frau, die ich nie zuvor gesehen habe, nach der Morgenmesse gesagt hat, ich solle im Durstigen Mönch einen Mann namens Bartolomé aufsuchen? Ich kenne keinen Bartolomé. Trotzdem stehe ich jetzt hier. Ich muss wirklich verrückt sein.
Juan wollte sich schon umdrehen und davongehen, als er plötzlich an seine Familie denken musste – an seine Frau und ihre drei Kinder. Wenn die Inquisition nun doch eines Tages erfuhr, dass die Familie Martinez jüdische Vorfahren hatte? Würden sie bei ihm etwa eine Ausnahme machen und ihn wegen seiner Verdienste in der Schreibstube laufen lassen, wenn sie andererseits keine Skrupel hatten, einen ehrbaren Apotheker einzukerkern und auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen ? Wohl kaum. Bei dem Gedanken, seine Frau oder gar eines der Kinder den Qualen der Folter ausgesetzt zu wissen , wurde Juan übel. Nein, es war nicht verrückt, hier zu sein, er hatte nicht den Verstand verloren. Er suchte nach Wegen, seine Familie zu retten, selbst wenn die Chance, den geheimnisvollen Bartolomé wirklich in dieser heruntergekommenen Schenke zu treffen und von ihm Hilfe zu
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