Die Feuer von Córdoba
Häuser neigten ihre schiefen Giebel einander zu, sodass sie ein Dach bildeten, das selbst noch den letzten Rest von Sternenlicht schluckte. Das Hafenviertel war klein. Es bestand aus gerade einem Dutzend Gassen, die sich ineinander wanden und ringelten wie ein Knäuel dünner schwarzer Schlangen. Dennoch war es das verrufenste Viertel der Stadt. Hier lebten die Armen, die Krüppel, die Diebe, die Räuber und Betrüger, die Dirnen und die Bettler. Jeder anständige Mensch mied dieses Viertel selbst am helllichten Tag. Und doch hatte sich Juan Martinez ausgerechnet mitten in der Nacht auf den Weg hierher gemacht. Er wollte jemanden treffen, einen Mann mit dem Namen Bartolomé, von dem ihm gesagt worden war, dass er ihm helfen konnte, unbemerkt die Stadt zu verlassen. Diesen Mann würde er aber nur hier sprechen können, in diesem Viertel, in das selbst die Häscher der Inquisition ihren Fuß nicht hineinzusetzen wagten. Schon gar nicht des Nachts.
Langsam tastete sich Juan in völliger Finsternis an den Hauswänden entlang. Seine Finger berührten weichen, von Fäulnis aufgequollenen Mörtel, von Schwamm und Feuchtigkeit zerfressene Lehmziegel, gesplitterte Türen und nur notdürftig mit morschen Brettern vernagelte Fensterluken. Manchmal gab es nicht einmal mehr Türen oder Fensterläden an den Häusern, und dann fiel seine Hand plötzlich in eine bodenlose Tiefe. Er musste sich zusammennehmen, um nicht laut zu schreien. Es war ihm, als würden dort in der Dunkelheit grausame Bestien harren wie Spinnen in ihrem Netz, abwartend und unersättlich in ihrem Hunger nach frischem Fleisch.
Die Angst kroch an ihm hoch wie ein ekelhafter Käfer, und mit jedem Schritt, den er sich weiter in die finsteren Gassen vorwagte, hatte Juan mehr das Gefühl, dass die Nacht im Hafenviertel lebendig war. Erschreckend lebendig wie ein riesiges , vielarmiges tintenschwarzes Ungeheuer, das mit jedem Atemzug gierig seine Witterung aufnahm. Sein Herz klopfte bis zum Hals. Dennoch traute er sich nicht, eine Fackel anzuzünden . Zu groß war seine Angst, als Fremder und Eindringling aufzufallen und die Aufmerksamkeit der hier lebenden Kreaturen zu erregen – ganz gleich, ob tierischer oder menschlicher Herkunft.
Langsam, Schritt für Schritt tastete er sich voran. Manchmal bellte ein Hund heiser und atemlos wie ein Schwindsüchtiger , oder eine Katze fauchte ihn voller Wut und Bosheit aus der Dunkelheit heraus an – entweder, weil er ihre Beute vertrieben hatte, oder, weil sie ihn verfluchen wollte. Aber sonst war es totenstill. Nur das widerliche Schmatzen seiner Stiefel, die sich vorsichtig ihren Weg durch den knöcheltiefen stinkenden Unrat bahnten, war zu hören. Oft fehlte nicht viel, und er wäre ausgeglitten, doch stets schaffte er es im letzten Augenblick, sein Gleichgewicht wiederzuerlangen, oder seine Hände fanden irgendwo, an einem Türsturz, einem Fensterbrett oder einem hervorstehenden Nagel, Halt. Die Abscheu davor, dem Gemenge aus verfaulten Essensresten, Kot und verwesenden Ratten und Mäusen zu seinen Füßen noch näher zu kommen oder seine Kleidung damit zu besudeln, verhalf ihm zu beinahe übernatürlichen Reflexen.
Als Juan endlich das Ende der Gasse erreicht hatte, stand er am Hafen. Die Sterne spendeten hier ein wenig Licht, dennoch war kaum zu glauben, dass er sich immer noch in Córdoba befand. Der Hafen, wie er ihn kannte, war schön – die Kontorhäuser reihten sich wie schimmernde weiße Perlen aneinander , und auf dem Wasser lagen Schiffe, große und kleine , deren bunte Segel und Fahnen in der leichten Brise lustig flatterten. Der Fluss glitzerte im Schein der Sonne wie flüssiges Silber. In den Werkstätten der Segel- und Taumacher ging es geschäftig zu, und aus den Wirtshäusern ließen die Düfte von Schinken und gebratenen Fischen jedem, der vorüberging , das Wasser im Mund zusammenlaufen. Die Stadt jedoch, in die er jetzt hineingeraten war, schien einem Albtraum entsprungen zu sein. Die Häuser auf der rechten Seite der Straße waren schief und schwarz wie faulige Zähne im Mund eines Bettlers. Ratten, groß wie junge Katzen, dabei fett und mit Schwänzen von mindestens einer Elle Länge, huschten über das glitschige Kopfsteinpflaster. Dunkle Boote, die aussahen, als wären sie statt mit Tuchen und Gewürzen mit verlorenen Seelen beladen, schaukelten träge auf den Wellen. Ihre Wanten schlugen bedrohlich und wütend gegen die Masten, als wären sie barbarische Krieger, die ihn zum Kampf
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