Die Feuer von Córdoba
von den Füßen riss. Dann packte er sie an den Haaren und schleifte sie unter Gezeter und Geschrei in die Schenke zurück, während die Gäste johlend und grölend mal den Mann, mal die Frau anfeuerten.
Juan sank das Herz in die Hose. Er hatte das Gefühl, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Und er hätte auch gewiss spätestens in diesem Augenblick auf dem Absatz kehrt gemacht und wäre wieder nach Hause gegangen, wenn nicht ein magerer, in schmutzige Lumpen gehüllter Junge in der Tür aufgetaucht wäre.
»Wollt Ihr zu Bartolomé?«, fragte er Juan und starrte ihn mit leerem Blick und offenem Mund an, während er seinen Oberkörper hin und her wiegte, als würde er einer geheimnisvollen Musik lauschen, die nur er allein hören konnte.
»Ja«, sagte Juan und fragte sich gleich im nächsten Augenblick , ob es nicht klüger gewesen wäre zu leugnen. Erst diese Furie, dann der Riese und jetzt der schwachsinnige Junge. Wer konnte schon wissen, was als Nächstes geschehen würde ? Vielleicht würde sich die lärmende Gästeschar auf ihn stürzen, um ihn auf dem Altar irgendeines Dämons zu opfern ?
»Kommt«, sagte der Junge. Er packte Juan am Arm und zog ihn in das Haus hinein.
Juan warf einen verzweifelten Blick zu der Tür, die mit einem dumpfen Dröhnen hinter ihm ins Schloss fiel, während der Junge ihn quer durch die restlos überfüllte Schenke zog. Es war heiß und stickig. Es stank so sehr nach Schweiß, Wein, ranzigem Fett, billigen Kerzen und Urin, dass ihm übel wurde . Die Tische standen dicht nebeneinander, und überall hockten zerlumpte, schmutzige Männer auf wackligen Schemeln – zahnlos, einäugig und mit zahlreichen Narben in den von abscheulichen Krankheiten verunstalteten Gesichtern. Sie bedachten Juan mit feindseligen Blicken, während sie weiter lachten und grölten, derbe Lieder sangen oder stritten. Unter manchem der schmutzigen Kittel sah Juan den Griff eines Messers hervorragen. Ihm wurde angst und bange. Natürlich gehörten die Bettler zum Stadtbild ebenso dazu wie die Türme der Kirchen von Córdoba, aber man sah sie meist einzeln am Rande der Marktplätze oder vor den Portalen der Kirchen hocken und nicht in einem großen Haufen beisammensitzend . Sein Herz schlug schneller, und am liebsten wäre er umgekehrt, doch der Junge schleifte ihn weiter, vorbei an dem schmutzigen Tresen, auf dem zwei Männer um einen Becher Schnaps im Armdrücken wetteiferten.
»Zu Bartolomé«, rief der Junge dem riesigen breitschultrigen Wirt zu, der kurz nickte und dabei ungerührt fortfuhr, seine Frau zu beschimpfen, die mittlerweile tropfnasse Weinkrüge in ein Regal stellte.
Der Junge schob einen Vorhang zur Seite und zog Juan in einen kleinen separaten Raum.
»Juan Martinez?«, fragte eine tiefe Stimme mit einem starken Akzent. Der Mann, der ihn ansprach, als hätte er ihn erwartet, saß auf dem einzigen Stuhl in dem Raum und hatte seine in kniehohen Stiefeln steckenden Füße lässig auf den Tisch gelegt, als wäre er in der Schenke mehr als ein Gast. Er trug ein rotes Hemd mit einer bunt bestickten Weste und schwarze Hosen. Sein Alter war schwer zu bestimmen, da sein Gesicht von den Pocken gezeichnet war. Dennoch vermutete Juan, dass der Mann jünger war, als er aussah, wahrscheinlich sogar jünger als Juan selbst. Seine Haut war dunkler als bei den meisten Bewohnern der Stadt, und sein raben-schwarzes Haar hing ihm in langen Locken bis auf die Schultern hinab. Große goldene Ohrringe baumelten an seinen Ohrläppchen, schwere Armreifen klimperten an seinen Handgelenken, und an jedem seiner langen knochigen Finger steckte mindestens ein Ring.
Ein Zigeuner, dachte Juan voller Entsetzen und versuchte dem Blick der funkelnden schwarzen Augen auszuweichen, die ihn und seine nasse, beschmutzte Kleidung spöttisch musterten . Dass dieser Bartolomé ein Zigeuner war, hatte ihm die Frau in der Kirche verschwiegen. Hätte er das gewusst, er hätte sich wohl kaum auf dieses Abenteuer eingelassen. Zigeuner waren Betrüger und Diebe. Sie verstanden sich auf allerlei Hexenkünste und schwarze Magie. Ihnen konnte man nicht trauen, das wusste jedes Kind. Aber jetzt stand er hier. Hinter ihm gab es nur eine Schenke voller johlender Bettler und Diebe, die danach lechzten, einen Mann aus einer der guten bürgerlichen Familien von Córdoba in ihre schmutzigen Finger zu bekommen; und vor ihm, so dicht, dass der Kerl nur seinen Arm ausstrecken musste, um ihn mit einem fürchterlichen Fluch zu belegen oder ihm
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