Die Feuer von Córdoba
die Schönheit zu achten. Doch jetzt betrachtete sie ihr Spiegelbild aufmerksam. Sie nahm ihre Bürste von der Kommode und löste ihre im Nacken zusammengebundenen Haare, sodass sie ihr in langen weichen Locken über die Schultern fielen . Dann bürstete sie ihr Haar, bis es glänzte, und drehte sich erst zur einen, dann zur anderen Seite. Ihre Haare waren immer noch so, wie Juan sie geliebt hatte – voll, dunkel und sanft schimmernd wie »poliertes Ebenholz«, wie er immer gesagt hatte. Nicht ein einziges graues Haar war zu sehen. Aber der Rest an ihr …
Das Fenster stand offen, und vom Garten drangen das Gelächter und die Stimmen ihrer drei Kinder herein. Drei Kinder hatte sie Juan bisher geschenkt. Sie liebte jedes Einzelne von ihnen, jede Locke der dunkelbraunen Wuschelköpfe, jedes Fingerchen und jeden der kleinen Zehen. Sie hätte nichts gegen ein weiteres Dutzend Kinder einzuwenden gehabt. In jedem von ihnen war ein Stück von ihr mit Juan verschmolzen , ein lebender Beweis ihrer Liebe und ihrer Leidenschaft. Aber die Geburten hatten natürlich auch Spuren an ihrem Körper hinterlassen. Ihre Hüften waren rundlicher geworden , und ihr Gesäß war nicht mehr so fest wie früher. Ihre Oberarme waren von der Hausarbeit und dem häufigen Windelwaschen kräftiger geworden, an den Augen zeigten sich die ersten Fältchen, und ihre Brüste waren schwerer als damals , als sie und Juan geheiratet hatten. Señora Anne hingegen war schlank und hatte, obgleich sie kaum jünger war als sie selbst, die geschmeidige Figur eines jungen Mädchens. Sie hatte gewiss keine Kinder zur Welt gebracht. Aber was sollte sie tun, wenn diese Verdienste in den Augen ihres geliebten Ehemannes nicht mehr zählten? Sollte sie vielleicht weniger essen? War es das, was Juan in die Arme dieser anderen Frau getrieben hatte? War sie ihm im Laufe der Jahre einfach zu dick geworden?
Suzanna seufzte. Wie oft hatte sie die Frauen bedauert, die ihr auf dem Markt oder bei anderen Gelegenheiten von den Liebschaften ihrer Männer erzählt hatten. Die Frau des Fleischers , die wusste, dass ihr Mann jeder Magd nachstieg, die jünger als zwanzig war; der Bäcker, der jeden Samstag in das Hafenviertel ging und dort eine Dublone nach der anderen mit den Huren durchbrachte, während seine Frau zu Hause die sechs Kinder hütete. Sie hatte sich diese Klagen stets mit Entsetzen und Bedauern angehört in der festen Überzeugung, dass ihr selbst so etwas nicht passieren könnte. Ihr Juan war treu. Er liebte sie. Nie würde er sie anlügen, nie mit einer anderen Frau betrügen. Niemals.
Und jetzt? Jetzt stand sie hier vor dem Spiegel und wusste nicht einmal, ob Juan in diesem Augenblick mit Señora Anne wirklich auf dem Weg in die Schreibstube war. Vielleicht kehrten sie auch gemeinsam in einem kleinen Gasthof ein, um dort in der Hitze der Leidenschaft die Bettlaken zu zerwühlen ? Wie sollte sie sicher sein? Wie konnte sie Juan überhaupt noch etwas glauben, wo er sie doch so offensichtlich betrog? Und das alles nur wegen Señora Anne de Cabalho. Dieses Miststück!
»Aber noch ist Juan mein Mann!«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild . Sie straffte die Schultern und reckte trotzig das Kinn. »Mein Mann, nicht deiner. Er ist mit mir verheiratet, vor Gott und allen Gläubigen haben wir in der Kirche den heiligen Bund der Ehe geschlossen. Und ich werde ihn dir nicht überlassen, nie und nimmer. Eher erzähle ich allen, dass du eine Hexe bist, und hetze dir die heilige Inquisition auf den Hals!«
Mit einem wütenden Schrei warf sie ihre Bürste gegen die Wand. Ja, das würde sie tun. Sie würde sich an die Inquisition wenden. Die waren immer interessiert an Geschichten über Hexen und Magier. Und wer konnte schon mit Sicherheit sagen , dass die Señora nicht wirklich eine Hexe war, so wie sie sich aufführte? So wie sich Juan jedenfalls verhielt, war mehr als die gewöhnliche Anziehungskraft einer Frau im Spiel. Er benahm sich, als wäre er verhext worden.
»Jawohl, ich bringe dich auf den Scheiterhaufen, du elendes Miststück!«, schrie Suzanna ihrem Spiegelbild entgegen. »Du verdammte Hure! Ich lasse es nicht zu, dass du mir meinen Mann stiehlst!«
Und dann warf sie sich auf das Bett und schluchzte laut in ihr Kopfkissen.
Anne und Juan gingen gemeinsam durch die schmalen Straßen von Córdoba. Bis zu dem Gebäude, in dem der Stadtrat untergebracht war, war es nicht weit. Meist schwiegen sie. Doch diesmal musste Anne mit Juan sprechen. Jeden Morgen und jeden
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