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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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Körpers, der dieser Lampe ähnelte, dann viele verbrannte Seiten und Bücher, die sich fliegend in der Luft aufblätterten, um wieder in die Flammen zurückzufallen und, zu Funken und Asche geworden, erneut aufzusteigen.
    Er dachte an das nächtliche Feuer auf der Piazzetta zwischen den beiden Säulen der Heiligen Markus und Theodorus im Oktober vergangenen Jahres. Noch immer klang ihm die Klage des inzwischen fünfzigjährigen Marc’Antonio da Canal im Ohr, Mitglied im Rat der Vierzig, der vom Richter zum Gerichteten geworden war und weinend vor seiner brennenden Bibliothek kniete. Andrea sah das höhnische Grinsen des apostolischen Nuntius Facchinetti, der ihn ohne rechte Überzeugung zu beruhigen versuchte. Andrea sah das Volk von Venedig, von den Wachen der Piazza in Schach gehalten. Niemand sprach, die einzigen Geräusche waren ein dumpfes Murmeln in der Menge und das Knistern der Bücher im Feuer. Der Inquisitor hatte den Mann angeklagt, die Anwesenheit Christus in der Eucharistie, die Verehrung der heiligen Bilder, das Fegefeuer und die Vorherrschaft des Papstes über diese Erde zu leugnen. Der Angeklagte hatte sich für unschuldig erklärt. Dann hatte man im Dachboden seines Hauses unter den Bohlen im Altan eine Truhe mit den Büchern gefunden: Bernardino Ochino, Erasmus, Machiavelli, Boccaccio, Savonarola, Pietro Aretino, Johannes Sleidanus, Cicero, Agrippa, Llull. Alles Autoren, deren Bücher auf dem Index standen. Und um ja nichts falsch zu machen, hatten die Wachen auch den Rest der Bibliothek mitgenommen. Zweitausend Bände zu Asche verbrannt, und ganzbestimmt hatte man einen bragozzo , eines dieser großen, runden Fischerboote gebraucht, um sie alle bis zur Mole von San Marco zu bringen. Dank des Eingreifens von Alvise Mocenigo, soeben zum Savio für Ketzerei gewählt, und der Unterstützung von Facchinetti war die Inquisition milde mit da Canal verfahren und hatte ihn nur zu vier Jahren Kloster und Buße verurteilt.
    Es war nicht die erste Bücherverbrennung, die Andrea erlebte, doch diese war ihm wegen des Streits mit seinem Vater in Erinnerung geblieben. Er erinnerte sich an die Silhouette des Dogen in der Loggia über der Piazzetta, als er im Widerschein dieses nächtlichen Feuers in den Dogenpalast zurückkehrte. »Im Namen Gottes!«, hatte er zum Vater hinaufgerufen. »Früher herrschte in Venedig Gedankenfreiheit!«
    »Andrea, was ist mit Euch?«
    Ermonias Stimme riss ihn aus diesen Gedanken. Die alte Glasmacherin betrachtete ihn aufmerksam.
    »Entschuldigt bitte«, sagte er verstört.
    »Ist das die Wirkung, die das Dodekaeder auf Euch hat?«, fragte sie, auf die Leuchte zeigend.
    »Wie habt Ihr es genannt?«, fragte Andrea.
    »Dodekaeder. Diese Leuchter waren die letzten Arbeiten, die Lucia hier in der Glashütte gemacht hat, bevor sie ins Kloster ging. Sie war sechzehn Jahre alt. Eure Mutter hatte ihr die Idee zu diesen Lampen eingegeben, mit ihrer Platon-Lektüre.« Sie machte eine Pause, um Atem zu holen. »Kennt Ihr Platon?«, fragte sie.
    Andrea nickte lächelnd.
    »Lucrezia sagte zu mir, diese Leuchter hätten die Form seiner Philosophie.«
    »Seine Philosophie umfasst unendlich viele Formen.«
    Ermonia zögerte.
    »Jede Leuchte hat einen Namen: die mit vier Flächen ist das Tetraeder, und wenn ich mich recht erinnere, symbolisiert es dasFeuer, die mit acht Flächen symbolisiert die Luft, die wir atmen, und heißt Oktaeder   …«
    Andreas Stimme legte sich über die ihre: »Hexaeder, die Erde, Ikosaeder, das Wasser   … und das Dodekaeder ist die Substanz von allem, was existiert. So schreibt es Platon im Timaios   …« Er trat neben Ermonia. »In jener Nacht in der Celestia hat Eure Schwester ihre letzten Worte an mich gerichtet   …«, er zögerte. Ermonia nahm seine Hand und lächelte ihn an. »›Suche furchtlos‹, sagte sie zu mir, ›in den Edelsteinen des Himmels und in der Seele wirst du die Wahrheit finden.‹ Könnt Ihr mir helfen, das zu verstehen?«
    Die Antwort auf diese unsicher und verlegen ausgesprochenen Worte gab die alte Glasmeisterin mit den Augen. Andrea erkannte sie wieder, es waren Lucias Augen in den Farben des Wassers und des Himmels, der Meerestiefen und der kristallklaren Luft. Diese Augen lächelten ihn an: »Das ist nicht nötig«, flüsterte Ermonia. »Geht Euren Weg weiter«, fügte sie hinzu, und in diesen Worten lag auch die Spur einer Herausforderung.

67
    Die Fregatte mit achtzehn Rudern des Rates der Zehn unter dem Kommando von Tommaso

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