Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
Mostacchi fuhr sehr schnell mit mindestens dreißig Ruderschlägen in der Minute aus der Dogana da Mar heraus, um direkt auf die Mole San Marco zuzusteuern. Die Ruderer waren alle jung, gut bezahlt und zeigten sich gern vor Publikum. Wenn es dann auch noch nach Hause ging und man direkt unter dem Löwen anlegte, verdoppelten sich die Erregung und der Feuereifer.
Am Bug hielt sich Beato Bringa an der Bordwand fest. Er war in Leder gekleidet wie die Gamsjäger und trug wie diese zwei sich kreuzende Hakenbüchsen auf dem Rücken und ein Messer im Gürtel. Seine Hände waren die Pranken eines Schmieds, seine Beine steinerne Säulen. Nach dem weiß gesprenkelten Haar und Bart und dem von jahrelanger Vernachlässigung verwitterten Gesicht zu urteilen, musste Bringa mindestens die Hälfte des Lebens hinter sich haben. Ein Eisen umschloss sein Handgelenk, und an dem Eisen hing eine Kette, die in einem anderen Eisen endete. Dieses umschloss ein sehr viel schmaleres Handgelenk, das Nicolò Bozza gehörte, genannt Granzo. Der Junge, gut zwei Spannen kleiner als der Mann, saß eingezwängt zwischen diesem und dem Bug der Fregatte. Seine Haut war gelblich, die Augen quollen hervor, der Kopf war rasiert und seine Kleider zerlumpt. Ein Ohr war verletzt, die Ohrmuschel eingerissen wie bei einer rauflustigen, schmutzigen Straßenkatze, und aus der Nase tropfte gelber Schleim, den er von Zeit zu Zeit mit dem Ärmel seines Hemdes wegwischte. Wenn er je welche besessen hatte, musste er seine Schuhe abgelaufen haben, denn er trug Hanfsäckchen um die Füße, von der Art, die man für ein halbes Maß Mehl benutzt. Er zitterte, vielleicht vor Kälte, sicher vor Angst.
»Werden sie mich aufhängen?«, fragte er Beato Bringa, und seine Stimme bebte.
»Sei schön brav, tu, was man dir sagt, und du wirst sehen, dass niemand dich aufhängt«, beruhigte ihn Beato in wohlwollend väterlichem Tonfall.
Bringa hatte den Jungen nach einer langen Verfolgungsjagd von Guastalla bis zur San-Moderanno-Quelle an der Via Francigena geschnappt, ein paar Meilen, bevor er über den Bardone-Pass entwischen konnte. Granzo war ausgehungert und verängstigt, denn in der Nacht hatten ihn Wölfe angegriffen, und er hatte auf einem Baum ausgeharrt. Im Grunde war es eine Befreiung für ihn gewesen, als er Beato Bringa erblickte, und er war weinend auf die Knie gefallen. Auch für den Kopfgeldjäger war es eine Befreiung gewesen, denn Kinder einzufangen hatte ihm nie behagt – man verdiente wenig und litt Gewissensbisse.
Am Steuer gab Kapitän Mostacchi Befehl, die Ruder senkrecht in die Höhe zu heben, und ließ das Schiff zwischen der Locanda del Redentore , der Galeere, auf der die Sträflinge das Rudern lernten, und der Sole , einer Galeere der Querini, hindurchgleiten. Er war zufrieden, weil sie nur knapp zwei Stunden von Chioggia bis San Marco gebraucht hatten. Ein Festmacher bremste mit seiner langen, mit einem Haken bewehrten Stange die Fahrt des Boots, zwei Trossen flogen durch die Luft, eine am Bug, eine am Heck. Auf der Anlegebrücke war schon die Garnison aufmarschiert, und der kommandierende Offizier schlug sich nervös mit dem Ordonnanzstock auf die Handfläche.
»Seid Ihr sicher, dass es wirklich dieser Hundesohn war, der mich verraten hat?«, fragte Granzo zum wiederholten Mal.
»Ich hab’s dir schon gesagt. Frag mich nicht mehr danach.«
Bringa war im Grunde ein guter Mensch, obwohl er einem Kerl, der ihn beim Spiel betrügen wollte, mit der Faust den Schädel eingeschlagen hatte. Er hatte Glück gehabt, denn die Quarantia Criminal hatte ihm wirklich schon die Schlinge um den Hals gelegt. Es war Alvise Mocenigo gewesen, damals Mitglied des Rates der Zehn, der ihn vor dem Galgen gerettet hatte. Es sei ein Schlag ins Gesicht der Vorsehung, so hatte der Consigliere sich ausgedrückt, der Menschheit ein Talent wie Beato vorzuenthalten. Denn gerade er konnte das vom Himmel gesandte Mittel sein, um Rado Clovich, einen Uskoken-Piraten in seiner Festung in Segna zu erledigen, wo man schon fünf Meuchelmörder hingeschickt hatte, die nicht mehr zurückgekommen waren. So war Bringas Todesurteil in ein liberar bandit verwandelt worden, und er war mit der Präzision eines Steuereintreibers und der Skrupellosigkeit eines Menschen, der nichts mehr zu verlieren hat, losgezogen, hatte das Problem gelöst und war zurückgekehrt. Darauf hatten die Zehn ihn zum amtlich bestellten Kopfgeldjäger und Meuchelmörder erhoben. Bringa war nicht nur ein treuer,
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