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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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weit tieferen Gedanken zu verfolgen schienen.
    »Mehr könnt Ihr mir nicht sagen?«, drängte Andrea. Sie sah ihn unschlüssig an. »Jede Art Information könnte für seine Verteidigung nützlich sein«, versuchte er sie zu ermutigen.
    Ermonia Vivarini schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn seit vielen Jahren nicht gesehen und hatte sogar diese Schulden vergessen. Doch wenn er mir das Geld unter diesen Umständen zurückerstattet, dürfte das genügen, um zu beweisen, dass er ein anständiger Mensch ist.«
    Andrea war überzeugt, dass die Frau sehr viel mehr wusste, aber er spürte auch, dass sie dieses Thema beenden wollte, und drang nicht weiter in sie, zumal er noch andere wichtige Dinge mit ihr zu bereden hatte.
    »Sprechen wir lieber von Euch«, hub Ermonia an, »mein Freund Vincenzo d’Angelo hat mir gesagt, dass Ihr meine Schwester Lucia getroffen habt.«
    Andrea nickte und zog ein zerknittertes Papier aus dem Ärmel seines Hemdes. »Das wurde mir am Tag vor der Explosion des Arsenale zugestellt.«
    Die Frau betrachtete das Blatt, das Andrea ihr reichte. Ihre Finger, die aussahen wie Olivenbaumwurzeln, näherten sich langsam, als schämten sie sich, dieses Papier zu berühren. Mit der anderen Hand suchte sie zwischen den Falten ihres Gewandes nach ihrer Brille. Die dicken, runden Gläser waren auf ein Zinngestell montiert. Sie nahm den Brief, brachte ihn an ihr Gesicht, als wollte sie daran riechen, und das Blatt zitterte. Mehrmals las sie die zwei Zeilen, dann nahm sie die Brille ab und blickte Andrea an.
    »Erzählt mir von ihren letzten Augenblicken«, bat sie mit bewegter Stimme.
    Andrea fiel es nicht leicht, jene tragische Nacht zu rekonstruieren, doch er versuchte es, indem er sich an die Abfolge der Ereignisse hielt, von der Explosion bis zu seiner Begegnung mit Lucia in der Krypta unter dem Boden der Kirche, die von den Fängen der Hölle verschont geblieben war.
    »Einen Augenblick, bevor sie uns verließ«, schloss er, »hat Eure Schwester zu mir gesprochen.« Er brach ab, denn die Erinnerung rief noch immer eine heftige Gefühlsbewegung in ihm hervor. »Sie hat nur zu mir gesprochen, nicht zu den Schwestern an ihrer Seite, die ihr beistanden. Sie hat meinen Namen gesagt, als sei ich für sie eine bekannte und vertraute Person.«
    Einen Augenblick lang schien Ermonia ihn ungläubig zu mustern. »Und das wundert Euch?«
    Er zögerte. »Ja, ich weiß, dass ich wegen meines Vaters in der Stadt bekannt bin.«
    »Ich bitte Euch, Andrea. Darf auch ich Euch so nennen?«
    »Gewiss, es wäre mir eine Ehre«, beeilte er sich zu versichern. Ermonia lächelte. »Ihr müsst wissen, Andrea, dass ich nicht Euren Vater meine, sondern Eure Mutter Lucrezia.«
    »Meine Mutter?«, rief er aus.
    »Euer Staunen lässt mich vermuten, dass Ihr nicht wisst, dass Lucia die beste Freundin Eurer Mutter war. Sie war es bis zu ihrem Tod.« Die Frau seufzte, als bedrückte sie diese Erklärung. Auf Andreas Stirn bildeten sich kleine Falten. »Sie sind zusammen aufgewachsen und liebten sich wie Schwestern.« Sie machte eine große Geste, um den ganzen Raum zu umfassen. »Diese Glashütte war ihr Reich. Ganze Tage verbrachten sie hier zusammen mit anderen Kindern, alles Kinder von Glasbrennern. Die beiden waren tüchtige Lehrlinge.« Sie zögerte. »Wisst Ihr wenigstens, dass die Familie Cappello ein schönes Haus hier auf Murano besaß?«
    »Ja, aber von meiner Mutter weiß ich fast gar nichts«, flüsterte er mit einem leichten Kopfschütteln. Seine Stimme klang bitter. »Sie ist kurz nach meiner Geburt gestorben, und mein Vater und mein Bruder haben mir nur wenig über sie erzählt. Es war ein zu großer Schmerz für sie. Und mit meinen Großeltern mütterlicherseits hat es nie Einvernehmen gegeben.«
    »Ja, das verstehe ich«, sagte Ermonia mit betrübter Miene und fuhr dann fort: »Ich werde Euch etwas erzählen. Das Haus gibt es noch, es liegt bei San Cipriano, doch die Cappello haben es verkauft, als Lucrezia starb. Man könnte fast sagen, dass sie mehr in Murano als in Venedig gelebt haben, mit all ihren Kindern und Büchern. Wusstet Ihr, dass Paola, Eure Großmutter mütterlicherseits, eine große Liebhaberin der Philosophie war?«
    Andrea schüttelte stumm den Kopf.
    »Lucrezia hatte diese Liebe geerbt. Ich sehe sie noch heute vor mir. Wie schön Eure Mutter war. Oft kam sie mit einem Buch in die Glashütte, das sie Lucia zeigen wollte. Dann setzten die beiden Mädchen sich dort hinten hin.« Ermonia wies auf einen Winkel

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