Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
um diese zu weiten und beim Gehen nicht behindert zu werden.
Dieses gewaltige Tier hatte drei wütende Löcher in seinem Bauch, glühend heiß und blendend hell wie die Sonne, die bei jedem Stoß mit dem Blasebalg, den ein Lehrling bediente, schnaubten und grunzten. Vor dem Ofen arbeiteten, ihre Rohre drehend, die Künstler in der eingespielten Weise zusammen, die aus handwerklicher Erfahrung und der eigenen Intuition rührte, mit der ein jeder die Glaspaste abwechselnd Luft und Feuer aussetzte.
»Lucia hatte einen starken Charakter«, fuhr Ermonia fort, den Blick auf die Ofenlöcher geheftet. »Und sie war eine gute Glasbläserin und Dekorateurin.« Sie wandte sich Andrea zu, der auf einem Schemel neben ihr saß. »Bis sie sechzehn war und ins Kloster eintrat, hat sie hier in der Brennerei gearbeitet. Keiner konnte das heiße Glas färben und bearbeiten wie sie. Nicht einmal Maestro d’Angelo oder ich haben sie je übertroffen.« Sie verstummte und schloss die Augen, wie nach einer übermenschlichen Anstrengung. »Als sie Äbtissin wurde, durfte sie durch Beschluss des Patriarchen Trevisan, mit Erlaubnis des Zunftmeisters und einer Ermächtigung durch den Senat, in einer Ecke des Kreuzgangs ihres Klosters einen kleinen Ofen errichten lassen, um Waisenkinder und Arme das Handwerk zu lehren.«
Ein Lehrling eilte zu ihrem Sessel, in einer Zange eine dünne Stange aus Glas.
»Entschuldigt, Maestra«, der Junge zeigte ihr die Stange, »sagt Ihr mir bitte, ob das gut gekocht ist?«
Mit sicheren, geübten Bewegungen nahm Ermonia ein silbernes Stöckchen, das an einer Kette an der Armlehne des Sessels hing, hielt es zwischen Zeigefinger und Daumen und versetzte der Stange in der Mitte einen einzigen Schlag. Das Glas gab einen hellen Ton von sich und zerbrach nicht.
»Das ist gut«, bestätigte die alte Glasbrennerin. »Tu nur noch ein Quäntchen mehr Weinstein hinein. Rasch, beweg dich!« Der Lehrling verbeugte sich und war mit drei Sprüngen wieder beim Ofen. »Das war einer ihrer Schüler, ich habe ihn bei mir angestellt«, sagte sie, dem Jungen mit einem liebevollen Blick folgend. »Ich bringe ihm bei, wie man Glas verziert, doch es gibt nur noch wenig Arbeit, ich bin alt, die große Kunst ist vorbei, und unsere Glashütte geht zugrunde.«
»Dies mag nicht die Lösung Eurer Probleme sein, Maestra Vivarini, doch es wird Euch sicher helfen.«
Ermonia sah, dass Andrea ihr ein Stoffsäckchen reichte. Nach kurzem Zögern ergriff sie es, legte es sich auf den Schoß, löste die Knoten, und die Goldmünzen breiteten sich zu einer funkelnden Fläche aus. Ihre Augen wurden groß, und einen Moment lang sah Andrea die Augen von Lucia wieder. Ihr Mund öffnete sich, um etwas zu sagen, was sie nicht herausbrachte. Mit diesem Ausdruck schien Ermonia schlagartig ihr Alter zu verlieren, wieder zum kleinen Mädchen zu werden, das überrascht ein langersehntes Geschenk empfängt.
»Es sind hundertzwanzig Dukaten. Ein türkischer Händler schickt sie Euch, Mehmet Hasan.«
Sie blickte ihn an. Aus der Überraschung war Entsetzen geworden.
»Was sagt Ihr da?« Sie konnte nur flüstern.
Überrumpelt von diesem plötzlichen Stimmungswechsel, den er nicht erwartet hatte, zögerte Andrea.
»Mehmet Hasan hat mir gesagt, dass er Euch diesen Betrag schuldet für eine Partie Glas, die Ihr ihm verkauft hattet«, erklärte er vorsichtig.
»Wann seid Ihr ihm begegnet?«
»Vorgestern in den Gefängnissen des Palazzo.«
»Er ist gefangen?«, rief Ermonia mit brüchiger Stimme aus.
Andrea nickte. »Er wird von den Zehn verhört.«
»Was hat er getan?«
»Man verdächtigt ihn, das Feuer im Arsenale gelegt zu haben.«
Stille folgte, unterbrochen nur vom Schnauben des Ofens.
»Hat er Euch noch mehr gesagt?«, fragte die alte Glasbrennerin.
»Er hat mich gebeten, ihm zu helfen.«
»Werdet Ihr das tun?«, fragte sie besorgt.
»Natürlich, so es in meiner Macht steht …«
»Ihr müsst tun, was Ihr irgend könnt«, erklärte Ermonia mit wiedergefundener Entschlossenheit. »Ich bezahle«, und schon hatte sie eine Handvoll der Dukaten ergriffen.
Andrea betrachtete sie verwirrt.
»Das ist nicht nötig, ich bin Gefängnisanwalt und werde schon bezahlt.« Er zögerte, musterte sie und fügte hinzu: »Wenn ich mir erlauben darf, ich sehe, dass sein Schicksal Euch am Herzen liegt. Kennt Ihr Mehmet so gut?«
Ein Schatten flog über Ermonias Gesicht.
»Ich kenne ihn, und er ist ein guter Mensch«, sagte sie nur, obwohl ihre Augen einen
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