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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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Schlüsselworts benutzten, hatte er ein Quadrat aus sechsundzwanzig unterschiedlichen Anordnungen desselben Alphabets geschrieben. In jeder Reihe verschob sich das Alphabet um einen Buchstaben nach links, so dass jedem Buchstaben einmal die Ehre zuteil wurde, an der Spitze seiner fünfundzwanzig Kameraden zu stehen.
    »Gefällt dir meine Tabula recta?«, fragte er, hochzufrieden mit sich.
    Pietro antwortete nicht. Ferigo drehte sich um. Die Sala Orba war in das schwache Licht der Öllampe und einiger Kerzenstummel auf einem Kandelaber getaucht. Der junge Chiffreur nahm die Leuchte und vollführte damit einen Halbkreis in der Luft. Doch keine Spur von Pietro in dem Raum. Nur Möbel, deren Schatten bei jeder Bewegung des Lichts tanzten.
    Aus der geisterhaften Stille, die diesen Wald von Möbeln umgab, kam, wenn man genau hinhörte, ein leises Schnarchen. Ferigo schob einen Tisch beiseite und entdeckte Pietro, der selig in einer Truhe schlief, einen heiteren Ausdruck im Gesicht.
    Noch einmal überprüfte Ferigo, ob jede Reihe und Spalte die geometrische und alphabetische Ordnung einhielt und korrigierte ein paar Buchstaben mit dem Kohlestift:
    ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ
    BCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZA
    CDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZAB
    DEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZABC
    EFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZABCD
    FGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZABCDE
    GHIJKLMNOPQRSTUVWXYZABCDEF
    HIJKLMNOPQRSTUVWXYZABCDEFG
    IJKLMNOPQRSTUVWXYZABCDEFGH
    JKLMNOPQRSTUVWXYZABCDEFGHI
    KLMNOPQRSTUVWXYZABCDEFGHIJ
    LMNOPQRSTUVWXYZABCDEFGHIJK
    MNOPQRSTUVWXYZABCDEFGHIJKL
    NOPQRSTUVWXYZABCDEFGHIJKLM
    OPQRSTUVWXYZABCDEFGHIJKLMN
    PQRSTUVWXYZABCDEFGHIJKLMNO
    QRSTUVWXYZABCDEFGHIJKLMNOP
    RSTUVWXYZABCDEFGHIJKLMNOPQ
    STUVWXYZABCDEFGHIJKLMNOPQR
    TUVWXYZABCDEFGHIJKLMNOPQRS
    UVWXYZABCDEFGHIJKLMNOPQRST
    VWXYZABCDEFGHIJKLMNOPQRSTU
    WXYZABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUV
    XYZABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVW
    YZABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWX
    ZABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXY
    »Wach auf«, sagte er schließlich ebenso freundlich wie wirkungslos. »Wach auf!«, schrie er und versetzte der Truhe einen kräftigen Tritt.
    »Was ist los?«, fragte Pietro benommen, wie ein Toter, der wieder zum Leben erwacht.
    » Du schläfst!«, rief Ferigo beleidigt.
    »Einer muss es ja tun«, entgegnete der andere und räkelte sich. »Weißt du, was ich geträumt habe?«
    »Das interessiert mich einen Dreck!« Ferigo kehrte zu den Leinwänden zurück. »Mein Vater wird gleich zurückkommen, und dieses Mal müssen wir klar und überzeugend sein. Ich will meinen Posten als Chiffreurlehrling nicht verlieren, weil du so eine Schlafmütze bist«
    »Als ob dein Vater uns wegschicken würde!«, erwiderte Pietro, ein Bein aus der Truhe hebend.
    »Da sei dir mal nicht zu sicher«, blaffte Ferigo ihn an.
    »Dieses Mal haben wir besser gearbeitet«, erwiderte Pietro überzeugt. »Denn wenn das Schlüsselwort nicht richtig wäre, wie hätte ich dann anfangen können, den Text zu entschlüsseln?«
    Ferigo starrte ihn überrascht an. »Du hast   …« Die Worte erstarben ihm auf den Lippen, während Pietro lächelnd nickte.
    »Ich schlief also in der Truhe, träumte, und da   …«, lachte er. »Komm mit.« Er nahm dem Freund das Licht und die Kohle aus der Hand und ging auf die große Leinwand zu, auf die Ferigo die Alphabete geschrieben hatte. Vor der Leinwand stellte er die Leuchte am Boden ab, wühlte in den Ärmeln seines Kittels und zog ein Papier hervor. Er faltete es auf, überflog es und begann, römische Ziffern neben einige Buchstaben des ersten vertikalen Alphabets zu schreiben.

    A
    B
    C
    D
    E
    F
    G
    H
    I-IV I
    J
    K
    L
    M
    II N
    VII O
    P
    Q
    VI R
    S
    V T
    U
    III V
    W
    X
    Y
    Z
    »Das hier ist die Abfolge der Buchstaben des Schlüsselworts, das wir gefunden haben«, hub er in belehrendem Ton an. »Wenn es stimmt, dass die Chiffre mit Hilfe der Tabula recta des Trithemius und der Methode des Belaso über einem Schlüsselwort geschaffen wurde, müssten wir in Anwendung des umgekehrten Prinzips auf den Klartext kommen, wenn wir mit den sieben Alphabeten arbeiten, die das Schlüsselwort erzeugt. Los, probieren wir es aus: Lies mir den verschlüsselten Text vor.« Lächelnd reichte Pietro ihm das Blatt. »Langsam, einen Buchstaben nach dem anderen, dann beginne ich mit der Übersetzung.«
    Ferigo hob die Laterne vom Boden auf und hielt sie vor die mit Feder und Tinte geschriebenen Zeilen. Vor Aufregung zitterte seine Hand. Seit fast zwei Monaten arbeiteten sie nunschon an der Botschaft, die im doppelten Boden der Reisetruhe von Filippo Tomei gefunden worden war.

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