Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
ihr Haar zerzauste und das Licht des Sonnenuntergangs in ihren Augen ein Feuer entfachte.
»Euer Verlobter arbeitet im Arsenale?«, fragte Andrea beiläufig und bereute es sogleich.
»Wie bitte?« Sofias Miene verdüsterte sich.
»Nichts, nichts, bitte vergebt mir«, stammelte er und senkte verlegen die Augen. »Ich dachte nur … Ich hatte Euch eben mit diesem Arsenalotto gesehen …«
Sofort entspannten sich Sofias Züge. »Ach, Bernardo?«, sagte sie mit einer Spur Koketterie. »Er ist nicht mein Verlobter.«
»Entschuldigt, ich wollte nicht …« Tödlich verlegen versuchte Andrea, ihrem Blick auszuweichen.
»Bernardo ist ein Freund.«
In diesem Moment erlebte Andrea erneut das intensive Gefühl ihrer ersten Begegnung und empfand wieder jene seltsame Vertrautheit ihrer Züge. Ihm war, als erkenne er Sofias innerstes Wesen, und der Wunsch nach einer rückhaltlosen gegenseitigen Zugehörigkeit überwältigte ihn. Er schwankte und stützte sich mit der Hand gegen die Mauersteine, die Feuchtigkeit ausschwitzten. Bei der kalten Berührung fand er das Gleichgewicht wieder. Er atmete tief ein.
»Fühlt Ihr Euch nicht gut?« Sofia betrachtete ihn besorgt.
Andrea spürte, dass er es jetzt wagen musste. »Bitte wundert Euch nicht, aber ich möchte Euch etwas fragen.«
»Gerne, fragt ruhig.«
»Nun, es ist so … heute Abend …«, begann er unsicher, sichtlich befangen. Dann, in einem Atemzug: »Würdet Ihr heuteAbend mit mir ins Theater gehen?« Da der Damm gebrochen war, fügte er in den Sekunden, die Sofia brauchte, um sich von der Überraschung zu erholen, eilig hinzu: »Die Accesi versammeln sich, um La Moscheta von Ruzante aufzuführen. Ein gutes Stück, kennt Ihr es?«
Sofia kannte Ruzante, doch La Moscheta nicht. Immerhin war ihr jetzt endlich klar, worauf Andrea die ganze Zeit abgezielt hatte. »Ins Theater mit Euch, Messer Loredan?«, rief sie aus.
»Es wäre mir eine Ehre, Signora Ruis.«
Sie zögerte, hin und her gerissen zwischen dem Gebot der Schicklichkeit und dem Wunsch, ja zu sagen.
»Wie könnte ich denn mit Euch kommen?«
»Seid Ihr heute Abend nicht frei?«, fragte er ein wenig besorgt.
»Das ist es nicht …«
»Dann erwarte ich Euch«, versuchte Andrea es abermals mit siegesgewissem Lächeln.
»Ich danke Euch für die Einladung, aber es geht nicht, denke ich«, erwiderte sie in wenig überzeugtem Ton.
»Warum?«
»Weil …«, sie griff nach dem ersten Einfall, »weil ich morgen vor Tagesanbruch aufstehen muss, ich habe Arbeit in der Segelwerkstatt.« Man hörte, dass es ein Vorwand war.
»Es wird nicht spät werden, das verspreche ich Euch.«
Sofia schüttelte den Kopf. »Nein, ich bitte Euch, ich kann wirklich nicht.« Sie schien das Gespräch beenden zu wollen.
»Ich beuge mich Eurem Wunsch.« Andrea verneigte sich leicht, innerlich glühend. Lieber hätte er sie an die Hand genommen und mit sich gerissen. »Vergebt mir mein Drängen.«
Sie schien verwirrt. »Es war freundlich von Euch, an mich zu denken … Hoffentlich amüsiert Ihr Euch.«
Andrea wich einen halben Schritt zurück, im Versuch, sich aus dieser verbalen Agonie zu lösen.
»Danke Sofia. Auf Wiedersehen.«
Er trat noch zwei Schritte zurück, den Blick auf sie gerichtet und lächelte sie an. Dann drehte er sich um und ging auf die Riva degli Schiavoni und das Licht der Lagune zu. Er wollte gerade um die Ecke biegen, als sie seinen Namen rief. Sofort blieb er stehen und wandte sich um. Sie hatte ihn noch nie bei seinem Vornamen genannt.
»Glaubt mir, ich wäre sehr gerne mitgegangen, aber …«, sie stolperte über dieses aber und verstummte.
Wenn es ein aber gibt, muss es auch einen wirklichen Grund geben, dachte Andrea und kehrte, ohne weiter zu überlegen, mit entschlossenen Schritten zu ihr zurück.
78
Der »Afrikaner« betrat mit der Kleiderpuppe im Arm den Saal, und sofort eilte ihm Maestro Foppa begeistert entgegen.
»Kostbarer Samt, der kostbarste überhaupt!«
Der Lehrling, ein junger Mann aus dem Barbarenland mit muskulösem Körper, rasiertem Schädel und sehr dunkler Haut, der ein Gewand mit farbigen Längsstreifen und Samtpantoffeln an den Füßen trug, stellte die Puppe vor Sofia hin.
»Gedrehtes Seidengarn aus Lucca! Allerbeste Qualität!« Verzückt strich der Schneider über das Kleid aus weinrotem Damast mit Blumenmuster.
Sofia, die stocksteif auf einem Sessel mit breiten, gepolsterten Armlehnen saß, hätte man ebenfalls für eine Puppe halten können. Sie
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