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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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Angesprochenen mit seinem Blick festnagelnd: »Holt alle Werkmeister, Vorarbeiter, Aufseher und Torwächter, holt die Wachen, die an jenem Tag Dienst hatten, ebenso die Wachen der Türme an den Außenmauern und alle Arbeiter der Nachtschicht, von den Schiffszimmerern bis zu den Kalfaterern, von den Tischlern bis zu den Bäckern, den Köchen und Trägern. Holt auch diese. Überprüft die Hauptbücher und die Erinnerungen eines jeden von ihnen. Zwei oder zwanzigtausend, das ist unbedeutend. Ich will wissen, wann welcher Arbeiter das Tor zu Land und das Tor zu Wasser durchschrittenhat, und jede einzelne Bewegung von Menschen und Material in das Arsenale hinein oder aus ihm hinaus erfahren, Kapläne, tote Seelen, Vögel und Fische inbegriffen«, sagte er immer lauter werdend. »Ich will über jede Abwesenheit vom Arbeitsplatz, jeden Verweis und jede Bestrafung informiert werden. Ich will sämtliche Namen und Spitznamen. Wenn auswärtige Arbeiter dabei waren, holt sie her und verhört sie. Ich will den Namen jedes einzelnen Arsenalotto, der in dieser Nacht im Arsenale geschlafen hat, weil er Prügel von seiner Frau bekommen hat oder weil er betrunken oder krank war. Ich will die Namen von Gefangenen und Verrückten und ein ausführliches Verzeichnis der Anwohner und ihrer Familien bis ins dritte Glied, väter- und mütterlicherseits«, schloss er, nun fast schreiend.
    Dann wandte Dolfin sich an den Scrivano Grande, der für die Verwaltung zuständig war.
    »Und von Euch, Signore, verlange ich dieselbe Mühe: Holt all Eure Männer, von den Lagerverwaltern bis zu den Buchhaltern, von den Archivaren bis zu den Aufsehern über die Ausrüstung und überprüft alle Kassenbücher: die der Tore, der Geldkammer, der Arbeiterschaft und der Munition. Ich will die Namen aller, die von den Geldbewegungen zwischen der Münze und Eurer Kasse Kenntnis hatten. Zusammen mit dem Admiral und dem Capitano überprüft Ihr sodann sämtliche ein- und ausfahrenden Schiffe, einschließlich der in Reparatur und im Bau befindlichen Schiffe.«
    Das Haupt der Zehn gönnte sich eine kurze Pause, um dann abschließend zu erklären: »Das alles will ich innerhalb einer Woche, bevor meine Amtszeit als Haupt der Zehn endet.«
    Die Forderung rief ein leises, erregtes Murmeln unter den Anwesenden hervor.
    »Verlange ich zu viel von Euch?«, fragte Dolfin ironisch. »Nun gut, dann sagen wir fünf Tage. Damit bleibt mir noch Zeit, um alle Aussagen zu lesen, anzuhören und meinem Nachfolger getreulich Bericht zu erstatten.«

76
    Die Fröhlichkeit war verschwunden. Eine der vielen Veränderungen, die man an diesem frühen Abend beobachten konnte, während die Arbeiter auf die Ausgänge des Arsenale zugingen. Es war nicht nur die Knappheit an Lebensmitteln, denn dürftige Zeiten hatte es immer wieder gegeben. Es war nicht nur die Erinnerung an die Toten vom September, denn Tote durch Kriege, Brände oder Stürme hatte man schon immer beweint. Es war etwas Tieferes, als hätte die Asche der Feuersbrunst sich drückend auf die Seelen gelegt, so dass sie sich nicht mehr freuen konnten. Nicht nur Sofia empfand so, die mehr als einen Grund zur Traurigkeit hatte, nein, auch wenn sie Clara, Orsola, Benedetta, Donata und die anderen beobachtete, bemerkte sie, dass ihre Schritte müde, ihr Lächeln trüb, ihre Scherzworte träge geworden waren, als hätten unzählige Fadenwurzeln an diesen Körpern einen Nährboden gefunden und einen Kokon um sie gesponnen, der nun ihre Bewegungen behinderte.
    Während des streng geregelten Ausgangs aus dem Arsenale – zuerst die weiblichen Arbeiter und die Fanti, junge Lehrlinge, dann alle Männer, beginnend bei den Abteilungen, die dem Ausgang am nächsten lagen – hatte es vor jenem September immer fröhliche Spöttereien gegeben, Rufe, einen Austausch von Scherzen und Blicken. Die Mastbauer und Schiffszimmerer, die ersten am Ausgang, versuchten alles, um mit galanten Worten oder einem kleinen Geschenk die Aufmerksamkeit der Segelnäherinnen auf sich zu lenken.
    »Sofia!«, rief eine tiefe Männerstimme.
    »Bernardo!« Lächelnd grüßte Sofia den Mann, der keuchte, als wäre er schnell gelaufen oder in höchster Aufregung. Er war von kräftiger Statur, die leuchtenden Augen dunkel, das Gesicht offen, freimütig, umrahmt von einem Meer kastanienbrauner, weiß gesprenkelter Locken, die in einen dichten Bart übergingen. Wenn man genau hinsah, waren Haare und Bart, Wimpernund Augenbrauen nicht vom Alter weiß, sondern mit einer feinen

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