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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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neunundzwanzig Toten muss ich leider auch   …«, hier brach die eintönige Bürokratenstimme des Sekretärs der Zehn, Antonio Milledonne, und zeigte, dass auch er eine Seele besaß, »…   muss ich leider auch an die Mutter und die Tochter unseres geschätzten Buchhalters der Münze, Sebastian Cenigo, erinnern, der bei der Explosion ebenfalls schwerverletzt wurde«, Milledonne, ein fast fünfzigjähriger, magerer, bartloser Mann in schwarzer Toga, hielt erneut inne, um sich mit einem Taschentuch über die Stirn zu wischen, »dem die Jungfrau Maria jedoch die Gnade erwies, ihn mit seinen beiden Jungen und der Gattin Lukrezia am Leben zu lassen.«
    Jemand räusperte sich unter den Anwesenden, wahrscheinlich der Großkanzler Zuàn Francesco Ottobon, und gab dem erfahrenen Sekretär der Zehn so zu verstehen, dass er sich mit Hinweisen auf die göttliche Macht zurückhalten und seinen Bericht rasch zu Ende bringen solle.
    »Zu Ehren und aus Respekt vor diesen Toten, Vostra Serenità , hochverehrte Ratsherren«, fuhr Milledonne fort, einen feierlichen, gehobenen Ton anschlagend, »bitte ich die Herrschaften ergebenst um einen Moment stillen Gedenkens.«
    Lieber hätte er das Wort »Gebet« benutzt, wenn Ottobons geräusperter Vorwurf ihm nicht geraten hätte, seinen glühenden Papismus tunlichst zu dämpfen. Darum ersetzte er das Wort durch eine unverdächtige, vor dem Dogen wie in der Kirche gleichermaßen übliche Geste: Den rechten Arm auf das Lesepult gestützt, den Kopf gesenkt, beugte er das rechte Knie, bis es den Boden berührte, und verharrte reglos in dieser Position.
    Diese Initiative ganz im Stil von Milledonne, eines geschätzten Stammgastes am päpstlichen Hof in Rom, rief eine gewisse Verlegenheit bei den Ratsherren hervor, da ihnen die Provokation natürlich nicht entging. In den jeweiligen Gruppen wurden Blicke gewechselt: der Doge mit seinen sechs Beratern, die drei Häupter der Zehn mit dem Rat, die beiden Avogadori di Comun untereinander und weiter zwischen allen anderen, die die hohe Versammlung bildeten, vom Kämmerer bis zu den Schreibern.
    Doch schon bald zog das Rascheln eines vergoldeten Mantels aller Aufmerksamkeit auf sich. Der Doge Loredan nahm sich den corno ducale und den leinenen camauro ab, die die schüttere, hennagefärbte gekräuselte Haartracht des Achtzigjährigen bedeckten, erhob sich mit einer langsamen, feierlichen Bewegung aus dem Sessel und blickte mit der sanften Miene des guten Menschen, der er immer gewesen war, auf die Versammlung.
    Milledonne wurde feuerrot vor Stolz. Nicht nur weil er, ein Bürger, den ersten der Patrizier zum Aufstehen bewogen hatte, sondern auch, weil das gemeinsame Gedenken an die Toten vielleicht dazu beitragen würde, zu einem gewissen patriotischen Geist, einem Gemeinschaftsgefühl zwischen den schwarzen Togen der Zehn und den roten des Doge und seiner Ratsherren zurückzufinden. Er erwartete daher vertrauensvoll, dass der gesamte Rat sich erhob, wie es Protokoll und Anstand geboten, doch leider rührte sich zunächst niemand.
    Es waren die Schreiber des Rates, auch sie bürgerlicher Herkunft, in ihrem Verhalten daher frei von politischem Kalkül, jedoch von der Sorge um den Arbeitsplatz geleitet, die sich als Erste erhoben. Und Loredan, der dieses Zeichen des Respekts erwartete, nickte zufrieden. Der Bann war gebrochen. Sofort stand zu seiner Rechten der Ratgeber des Dogen, Consigliere Zuàne Mocenigo auf. Er tat es mehr aus Freundschaft zum Dogen denn aus Respekt vor den Opfern. Acht Sitze weiter hinten beendete nun auch Peranzo Sagredo, ein Mitglied der Zehn, das Zögern und schuf, indem er sich erhob, die ersehnte Brücke zwischen den beiden Lagern. Als Antwort darauf erfüllte das Rascheln der Gewänder und Scharren der Sohlen den Saal, während die anderen fünf Consiglieri aufstanden und Stühle und Holzbalken, die aus dem Podest ein Amphitheater machten, vernehmlich knarrten.
    Der Letzte, der sich erhob, war Zuàne Mocenigos Bruder Alvise, der »Schwarze Doge«, wie ihn seine Verächter nannten: Er wurde bald zweiundsechzig, hatte große diplomatische Erfahrung an den Höfen halb Europas gesammelt, war Statthalter auf der terraferma , Prokurator von San Marco, Savio Grande , Savio für Ketzerei mit großem Einfluss auf die Zehn und den Senat. Als auch er sich erhoben hatte, wurde es still im Saal.
    Antonio Milledonne senkte den Kopf, nachdem er die Augen über das Rund hatte wandern lassen, um seinen Erfolg bis ins Letzte auszukosten, dann

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