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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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die Regierung der Serenissima, die kam, um die Tragödie mit eigenen Augen zu ermessen.
    »Was wir jetzt tun müssen«, hub Andrea wieder an, »ist, so viele Menschen zu retten, wie gerettet werden können, ohne uns zu fragen, ob diese Gräuel ein Werk der Türken, anderer Kräfte oder des widrigen Schicksals sind. Die Zeit wird kommen, in der wir auch das erfahren und handeln.« Er machte abermals eine Pause, um einen Blick auf die nahende Galeere zu werfen. Er dachte an seinen Vater. Der Doge würde bald hier sein, und vielleicht würden sich ihre Blicke kreuzen. Das durfte nicht geschehen. Er fühlte sich nicht bereit.
    »Viva San Marco!«, rief jemand.
    »Viva San Marco!«, antworteten alle wie mit einer Stimme.
    Andrea verließ den Altar und sagte, zu den Fanti gewandt: »Bringt dieses arme Kind zum Campo San Francesco, jemand wird es wiedererkennen.«
    »Jawohl!«, antwortete einer für beide, und sie hoben den Leichnam hoch und stiegen die Stufen hinab. Andreas Blick folgte ihnen.

17
    Weniger als eine halbe Meile entfernt ließ sich in diesem Moment der Alte, an das Heck des Bootes gebunden, vom starken Rückfluss der Flut im alabasternen Licht des Morgens auf die Mündung des Lido zutreiben. Er hatte es geschafft. Das Boot hatte dem Feuer widerstanden. Dank des Ostwinds, der den Rauch wegblies, konnte er endlich die saubere Meeresluft atmen. Er trieb auf der rötlichen Spur der aufgehenden Sonne zwischen den Inseln Certosa und Le Vignole. In weiser Voraussicht hatte er sich das Tau, mit dem das Boot festgemacht wurde, unter die Achseln geschlungen und so festgezurrt, dass sein Kopf und ein Teil des Oberkörpers oberhalb des Wasserspiegels blieben, ohne dass er schwimmen musste. Denn er hatte seine ganze Kraft aufgebraucht. Seine Beine spürte er nicht mehr, sie waren steif vor Kälte. Er ließ sich tragen wie ein Verletzter aufeinem Karren. Mit dem Unterschied, dass er ohne Stöße und Erschütterungen dahinglitt, ja, fast schien ihm, als stünde er still auf diesem Wasser, als wäre es Eis. Sehnsüchtig dachte er an das Feuer, nicht das wütende, das er eben hinter sich gelassen hatte, sondern die einfache Glut eines Kohlebeckens, die einlullende Wärme eines Backofens.
    Er schloss die Augen und hörte das Gurgeln des Wassers an den Bootswänden. Das freute ihn, sein Gehörsinn kehrte zurück. Dann verstummte das Geräusch plötzlich, und das Boot begann, sich um den Bug zu drehen. Jetzt hatte der Alte die deutliche Empfindung, stillzustehen. Tatsächlich, einen Augenblick später spürte er Schlamm unter den Füßen. Ein Büschel Schilfrohr schlug ihm ins Gesicht. Er war auf einem baro , einer der vielen kleinen Inseln, die durch das Spiel der Gezeiten und die Veränderung der Wassertiefen auftauchten und wieder versanken. Doch schon glitt das Boot vom schlammigen Ufer weg und entfernte sich drehend, von der Strömung getrieben.
    Das darf nicht geschehen, dachte er, und seine Finger versuchten, den Knoten des unter seinen Achseln gespannten Seils zu lösen, während seine Zehenspitzen sich in den Schlamm bohrten, um das Boot anzuhalten. Es gelang ihm, als das Wasser ihm schon bis zur Kehle reichte. Mit letzter Kraft zog er den umgedrehten Bug aus dem Wasser, ehe er sich erschöpft auf den Sand, den Schlamm und die Algen fallen ließ. Er atmete tief. Dann kletterte er auf den höheren Teil der Insel, vor Kälte zitternd und das Seil, das ihn mit seiner Rettung verband, fest in der Hand. Als das Seil sich straffte, warf sich der Alte rücklings zwischen das Schilfrohr auf den grauen, kalten, nassen Sand. Erst jetzt schaute er in den Himmel. Er war blau geworden. Von dem Blau, welches das Glas annimmt, wenn es mit der richtigen Dosis orpello brennt, dachte er. Es scheint Meer zu sein und sieht aus wie der Himmel. Aber es ist nur Glas.
    In diesem Himmel kreuzten sich plötzlich die grauen Mündungen von vier Arkebusen, die direkt auf sein Gesicht zielten.Er hatte nicht einmal Zeit, sich zu wundern. Hinter den vier Mündungen tauchten die Gesichter von vier Fanti da Mar auf.
    »Rührt Euch nicht, oder Ihr seid tot!«, schrie einer der Soldaten aus Leibeskräften.
    Der Alte, der natürlich weder die Kraft noch die geringste Möglichkeit hatte, sich zu bewegen, riss nur die Augen auf und sah die Männer einen nach dem anderen an.
    »Auf die Knie!«, schrie der Erste wieder.
    Der Alte rührte sich nicht.
    »Auf die Knie!«, und er bohrte ihm die Büchse mitten in die Stirn. »Verstehst du, was ich dir sage?« Er

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