Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
ebenso heftigen wie unerwarteten Streit darüber gehabt hatten, ob es richtig sei, den Capitano General da Mar Girolamo Zane, einen alten Freund Loredans, am Kommando der venezianischen Flotte zu lassen. Mocenigo schätzte Zane nicht, er hätte ihm den kämpferischeren Sebastiano Venier, einen Kandidaten des Rates der Zehn, vorgezogen. Bei der Stichwahl im Großen Rat hatte die politische Fraktion gewonnen, die Zane unterstützte. Nicht weil die adeligen Wähler ihn für besser hielten, im Gegenteil, sie wollten dem Rat der Zehn nur eine Warnung erteilen, dass seine Übermacht zu bröckeln begann. Denn das allgemeine Ressentiment wuchs, schon warfen viele den Zehn vor, ihre ursprüngliche Aufgabe als Justizbehörde, die für die Sicherheit Venedigs verantwortlich war, zu übertreiben, um ein eigenständiges Machtzentrum zu werden, geradezu ein Organ der Regierung, das immer häufiger mit der Mehrheit des Großen Rates in Konflikt geriet, sogar über Fragen der Außenpolitik.
Aufgrund dieses Streits war der Saal der Zehn für den alten Dogen zum feindlichen Gebiet geworden: der einzige der hundertsiebenundneunzig Säle, Salons, Zimmer und Vorzimmer, Gefängniszellen und Kammern, Büros, Kanzleistuben,Korridore, Archive, Kapellen und Küchen des Palazzo Ducale, in dem er sich zutiefst unwohl fühlte. Wenn er in seinem Sitz aus Kirschbaum mitten auf dem Podest Platz nahm, versuchte er zum Beispiel immer, mit dem Rücken wenigstens eine Spanne Abstand zur Lehne aus rotem Samt zu halten. Denn dahinter gab es eine falsche Holzwand, ein halbkreisförmiges Brett aus Nussbaum, und in diesem Zwischenraum vermutete die blühende Phantasie des Dogen Meuchelmörder, die mit langen, vergifteten Nadeln bewaffnet waren. Oder er verwechselte, wenn er sich in verschwiegenen Ecken seinen Consiglieri anvertraute, einfache Windstöße mit den Atemzügen von Patriziern, die Mocenigo und dem Gericht der Zehn ergeben waren und seine vertraulichen Gespräche belauschten, um daraus Verschwörungspläne zu spinnen. Darum hatte Loredan seine Eingriffe auf das Notwendigste beschränkt, er wahrte die Etikette und gab keine Meinungen von sich.
Denn Loredan war ein ausgezeichneter Kaufmann und praktisch veranlagt, aber auf politische Fehden und Intrigen verstand er sich nicht. Sein von der großen Mehrheit der Adeligen und Kaufleute Venedigs unterstütztes Bestreben war ein ruhiges Mittelmeer dank eines immerwährenden Friedens mit dem Türken. Nur so konnte Venedig blühen und gedeihen. Zu diesem Zweck hatte er freundschaftliche Beziehungen zu Sokollu Mehmet, dem Großwesir von Suleiman I. und seinem Nachfolger, Selim II., geknüpft.
Bei diesem Gedanken lief dem Dogen Loredan ein Schauer über den Rücken. Denn zu der Feindseligkeit, die Mocenigo und der Rat der Zehn ihm seit einigen Monaten entgegenbrachten, kam eine alte Geschichte hinzu, welcher ein aufgeklärter, vernünftiger Mensch wenig Gewicht beigemessen hätte, doch jemandem wie Loredan, der ein Anhänger der Kabbala und der Astrologie war und immer nach Vorzeichen suchte, hatte sie das Leben teilweise ruiniert.
Es war im Juli 1521 geschehen. Er war soeben auf einer derregelmäßigen sommerlichen Handelsreisen, die er an der Spitze seiner drei großen Galeeren unternahm, aus Candia kommend in Alexandria in Ägypten an Land gegangen, als er erfuhr, dass sein Onkel, der Doge Leonardo Loredan, am 22. Juni gestorben war. Die Nachricht erregte Aufsehen, denn Loredan war im ganzen Mittelmeer bei Moslems, Christen und Juden hoch angesehen. Während eines Empfangs beim osmanischen Statthalter näherte sich Pietro ein sufischer Mystiker, ein verehrter, heiliger Mann, auf dessen Rat man hörte.
»Du wirst der nächste Loredan sein, der König wird«, hatte der Sufi zu ihm gesagt. »Und du wirst an dem Tag gewählt werden, an dem du so viele Jahre gelebt hast, wie es Dogen gab, einschließlich deiner Person. Aber wisse, dass dein Leben von dem Tag an kurz sein wird.«
Pietro, damals noch nicht ganz vierzigjährig und verheiratet mit der schönen Lucrezia Cappello, die ihr erstes Kind erwartete, grübelte eine Weile über die Prophezeiung nach und befreite sich dann davon, indem er sie als Omen für ein langes Leben wertete, da man erst in hohem Alter Doge wird und als Doge stirbt. So hatten die Worte des Sufi fünfundvierzig Jahre in ihm geschlummert, als am Morgen des 4. November 1567 der dreiundachtzigste Doge der Serenissima Repubblica, Girolamo Priuli, auf der Treppe stürzte und
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