Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
ihreBitte um Entschuldigung und ihr tief empfundenes Bedauern auszudrücken, ob es nun ehrlich gemeint war oder nicht. Denn diesen Mann gegen sich zu haben würde alle Hoffnung auf Gnade für Gabriele zunichtemachen. Dann war da die Bitte von Zuàn Francesco Marin, die nicht nur ihn, sondern vor allem seine Mutter und ihre Welt aus Büchern betraf. Andrea wusste noch immer nicht, wie er sich zu dieser Bitte stellen sollte. Denn die Begegnung in San Michiel, in dieser heiligen Bibliothek der erlauchtesten Geister, der mit Verlässlichkeit gepaarte Mystizismus des Abtes Cipriano D’Este und die große Meisterschaft Marins auf dem Gebiet der Chiffren bürgten für die Wahrheit der ganzen Geschichte.
Dies war der Hintergrunddonner des spekulativen Gewitters in Andreas Kopf, während er die unerklärliche Verspätung Francescos und die in der Bussola zusammengedrängte lärmende Menge vor Augen hatte: Adelige, Bürger und Menschen aus dem Volk, die dort stehend warteten und lautstark ihre Angst vor der bevorstehenden Unterredung im Gericht abzuschütteln versuchten. Andrea kannte diesen Lärm, der sich an jedem Werktag des Jahres bei der Öffnung der Ämter wiederholte. In der Menge entdeckte er Nicolò da Ponte. Der Senator saß auf einem Nussbaumstuhl, im Gespräch mit dem Sekretär Milledonne. Andrea hätte zu ihm gehen müssen, doch durch die Verspätung seines Solecitadòr gewann er Zeit. Er blieb an der gegenüberliegenden Wand neben dem Tisch mit dem Protokollbuch stehen, den Rücken zur Menge gewandt, damit er nicht erkannt wurde.
Warum kommt Francesco nicht?, sorgte er sich wieder, schon an der Schwelle zu den düstersten Befürchtungen.
»Avvocato, Avvocato Loredan!«
Andrea drehte sich um. Leider kam Milledonne direkt auf ihn zu. Andrea zögerte einen Moment, dann ging er ihm entgegen.
»Wir warten auf Euch! Kommt Ihr nicht?«, fragte der Sekretär leicht verwundert.
Der Saal der drei Häupter der Zehn war nicht benutzbar, weil Arbeiter an diesem Tag dort einen anderen Teil der Decke abstützten. Also gingen Andrea, da Ponte und Milledonne in den angrenzenden kleinen Saal der Inquisitoren. An der Tür ließ Andrea dem Senator den Vortritt, doch als er selbst hindurchgehen sollte, blieb er abrupt stehen, so dass Milledonne fast über ihn gefallen wäre. Denn was eine Versammlung mit nur wenigen Teilnehmern hätte sein sollen, hatte sich erheblich ausgeweitet, und grob geschätzt mussten in dem kleinen Raum mindestens fünfzehn Menschen sitzen. Diese Anzahl war der erste bestürzende Eindruck, dann versetzten Rang und Namen der Anwesenden Andrea einen Hieb, als hätte ihn ein Windstoß der Bora getroffen. Denn außer Nicolò da Ponte und Alvise Catanio waren alle anderen ergebene Gefolgsleute oder Anhänger des Procuratore und Savio für Ketzerei Alvise Mocenigo und besetzten entscheidende Ämter in der Regierung Venedigs.
»Bitte, Avvocato, tretet näher!«
Das war die Stimme von Senator da Ponte, der zusammen mit Tommaso Contarini und Hieronimo Grimani am Tisch der Untersuchungsrichter Platz genommen hatte.
Andrea blickte ihn an. In dieser Aufforderung erkannte er sofort eine Veränderung des Tons, die ihm Unbehagen bereitete. Warum hatte da Ponte ihm nichts von diesem großen Interesse an dem Verfahren gesagt? Er musste reagieren, und während er vortrat, hörte er, wie der Sekretär Milledonne hinter seinem Rücken die Tür schloss. Andrea verbeugte sich vor den Patriziern, die vor ihm saßen.
»Hochverehrte Signori«, sagte er halblaut.
Es folgten das Rascheln von Kleidern, das Knarren von Holz und ein allgemeines Neigen der Köpfe. Andrea ließ den Blick über die Anwesenden schweifen. Die drei Häupter der Zehn Andrea Dolfin, Vettor Pasqualigo und Pietro Pizzamano waren da; ferner zwei der einflussreichsten Ratgeber der Zehn, Lorenzo da Mula und Vincenzo Morosini; zwei Savi für Ketzerei, Giulio Contarini und Melchiorre Michiel; zwei Esecutori contro la bestemmia, Paolo Corner und Pietro Sanudo; der für Klöster zuständige Provveditore Jacopo Zon und schließlich Zuàne Mocenigo, der Bruder von Alvise und Dogenratgeber. Nur einer fehlte, ausgerechnet er: Alvise Mocenigo, der schwarze Doge.
»Setzt Euch bitte, Avvocato Loredan!«, forderte da Ponte ihn in festem Ton auf und wies auf den Scherenstuhl, der so isoliert vor den Zuhörern stand, dass er eher wie der Zeugenstand wirkte. Andrea setzte sich.
»Ich bitte Euch«, hub der Senator an, »wärt Ihr so freundlich, den hochverehrten Signori
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