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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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kräftigen Jungen, der am Rand eines viereckigen Beckens voll Wasser stand, dasmitten im Raum aus dem Boden gehauen war. Zwei Öllampen verliehen dem fensterlosen Raum die Anmutung einer Katakombe.
    Die Äbtissin und eine betagte Nonne, beide mit einer brennenden Kerze in der Hand, hörten einem Priester zu. Es war nur ein Flüstern, wie zwischen Beichtvater und Sünder, und es endete, als er ihre Stirnen mit geweihtem Öl salbte. Dann ging der Priester zu dem Jungen und wiederholte das Ritual. Zuletzt trat er zu Sofia, hielt ihr das Kruzifix hin und begann, aus der Bibel zu lesen: » Und sie kamen auf die andere Seite des Meeres in das Gebiet der Gerasener. Und als er aus dem Boot stieg, kam ihm sofort aus den Grabmälern ein Mann mit einem unreinen Geist entgegen. Der hatte seine Behausung in den Grabmälern. Man konnte ihn nicht bändigen, nicht einmal mit Fesseln   … «
    Der Priester blickte zu dem Jungen hin und neigte leicht den Kopf. Dieser ergriff das Seil mit beiden Händen und zog es zu sich. Die Ketten spannten sich, der Thron erhob sich vom Boden. Sofia begann, zwei Spannen über der klaren Wasseroberfläche zu schaukeln, und ihr Wimmern wurde zu einem wütenden Röcheln, dabei wand sie sich in den Fesseln, riss die Augen auf und spreizte die Finger im fruchtlosen Versuch, sich zu befreien. Der Priester las unterdessen weiter: » Schon oft hatte man ihn an Händen und Füßen gefesselt, aber er hatte die Ketten gesprengt und die Fesseln zerrissen; niemand konnte ihn bezwingen. Bei Tag und Nacht schrie er unaufhörlich in den Grabhöhlen und auf den Bergen und schlug sich mit Steinen. « Wieder machte er dem Jungen ein Zeichen, und der begann, den Thron langsam herabzulassen.
    Schaukelnd peitschten seine Beine aus Metall die Wasseroberfläche und wühlten sie auf. Dann kamen Sofias zappelnde Füße hinzu. Die Adern an ihrem Hals traten hervor, ihr Röcheln schwoll zu Schreien an. Das Schaukeln wurde schwächer, während der Junge den Thron schneller sinken ließ. Die beiden Nonnen bekreuzigten sich gleichzeitig. Der Priester fuhr fort:» Als er Jesus von weitem sah, lief er zu ihm hin, warf sich vor ihm nieder und schrie laut: Was habe ich mit dir zu tun, Jesus, Sohn des höchsten Gottes? Ich beschwöre dich bei Gott, quäle mich nicht! «
    Der Priester verstummte und blickte Sofia an, die den Kopf heftig hin und her bewegte, während das Wasser ihr bis zum Bauch, dann bis zum Hals stieg, ihre Schultern überspülte und ihre Haare sich auf dem eiskalten Kristall ausbreiteten. Das Gesicht in die Höhe gerichtet, suchte sie ein letztes Mal Luft zu schnappen, dann versank sie. Es blieben ein Schatten in der Tiefe und das Vibrieren der Ketten und des Seils, wie wenn ein großer Thunfisch mit Haken und Seil gefangen wird.
    » Vade retro Satana !«, schrie der Priester, das Kruzifix über das Wasser haltend. » Vade retro Satana !«, wiederholte er und schwenkte das Kruzifix in einem Halbkreis durch die Luft, als sollte es den Weg ihres Verschwindens markieren. Die Ketten hörten auf zu zittern, das Seil schwankte nicht mehr.
    »Zieh sie hoch!«
    Wieder packten die Hände des Jungen das Seil, seine Arme rissen es herunter, die Winde quietschte und Sofia tauchte wieder auf, triefend wie ein soeben aus dem Brunnen hochgezogener Eimer. Die Kutte klebte an ihrem Körper, der jede Bewegung und alles Leben verloren zu haben schien, wären nicht ihre weit aufgerissenen Augen gewesen, deren Blick suchend hierhin und dorthin schoss. Der Junge hielt das Gewicht mit dem rechten Arm, ergriff mit dem linken den Thron und zog ihn zu sich heran, um ihn am Rand des Beckens herabzulassen. Rasch löste er die Schnalle des Ledergürtels, der Sofias Mund zuschnürte. Sie schluckte, hustete, stieß ein Röcheln aus und übergab sich weinend. Der Priester hielt ihr das Kruzifix entgegen und sprach in festem Ton: »Verlass diese Frau, unreiner Geist! Verlass diese Frau, unreiner Geist!« Die beiden Nonnen stimmten ein: »Denn dieser Körper gehört Gott, dem Allmächtigen Herrn!«
    Sofia atmete mühsam, blickte den Priester an und spuckte ihm ins Gesicht.
    Der hob nur die Hand, dann zog er ein Taschentuch hervor und trocknete sich das Gesicht.
    Der Junge zog wieder am Seil und ließ Sofia über dem Wasser schweben. Der Thron senkte sich.

79
    Unbesorgt um die Kontrollen, begannen die Händler in der Drapperia, die Preise zu erhöhen, während sie gleichzeitig die Venezianer beruhigten: die neuen Zahlen seien für Fremde bestimmt,

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