Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
die alsbald eintreffen würden. So war ein großes Stück Stoff aus Ziegenhaar vor Anninas Augen von zehn auf zwanzig Dukaten gestiegen und ein Tuch aus Brokat von fünfundachtzig auf hundertfünf.
Alle taten das Gleiche, sie wischten die Preistäfelchen aus und schrieben mit Kreide eilig neue Zahlen darauf, wohl wissend, dass sie, wenn es ans Verhandeln ging, den Käufer in ihren Laden führen und ihn dort in eine unaufhörliche Leier verwickeln würden, die mit Stückgröße, Gewicht und Menge spielte, um zuletzt gute zwanzig oder sogar dreißig Prozent Rabatt zu gewähren und so die Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen.
Bepo Rosso wusste, dass diese Sotoporteghi der ideale Ort für die Begegnung waren: Die überdachten Durchgänge waren vor neugierigen Blicken geschützt, und wenn es ihm gelang, den Türken in eines dieser engen Geschäfte zu lotsen, würde sich ihm eine Gelegenheit bieten, der Überwachung durch die Begleiter zu entgehen. Er durfte aber nichts falsch machen. Er hatte nur diese eine Gelegenheit. Und mit ihr stand das Leben seines Sohns auf dem Spiel. Er beschloss, auch seine Frau einzusetzen, um weniger aufzufallen und das Treffen zufällig erscheinen zu lassen. Im Grunde hatte er sie ja deswegen mitgenommen.
»Annina«, sagte er leise, »siehst du diesen Türken? Er ist der Würdenträger, den ich am Lazzaretto abgeholt habe. Er weiß alles über unseren Sohn. Bleib immer dicht hinter mir, sprich ihn nicht an und halte die Augen gesenkt.«
Mahmut hatte ein mit Goldfäden besticktes Seidentuch erstanden und zeigte es stolz dem jungen Contarini.
»Ausgezeichnete Wahl!«, lobte der Adelige, in der Hoffnung, diesen sterbenslangweiligen Einkaufsbummel bald beenden zu können.
Der Ladenbesitzer verbeugte sich vor dem Würdenträger und überhäufte ihn mit Schmeicheleien, um ihn an sich zu binden wie ein Boot an den Steg. »Beehrt mein Geschäft, hochwerter Herr, kommt, schaut, probiert und bewundert, alles ist von bester Qualität zum guten Preis!« Mit einem tiefen Bückling wies er auf das Innere seines Ladens voller Stoffe und Spiegel, die dessen Fülle und Größe vervielfachten.
Beato Bringa hielt beide zurück und überprüfte das Innere. Dort stand nur eine Frau, die Stoffe auswählte. Er gab den Eingang frei und postierte sich als Wache vor der Tür. Contarini blieb bei ihm, er hatte nicht die geringste Lust, hineinzugehen.
Alles spielte sich in einem Reigen aus bunten Stoffen ab, die der Händler dem türkischen Diplomaten unablässig vorführte. Bepo Rosso kam mit einem Tuch aus schwarzem Samt, das er wie eine Stola über der Schulter trug, aus dem Hinterzimmer des Ladens, und während er es Annina zeigte, wandte er sich mit einer Verbeugung an Mahmut.
» Allah büyük «, sagte er, sorgsam achtgebend, dass von draußen niemand seine Bewegungen beobachtete. Und schon ging seine Hand zum Ärmel, wo er das Buch und den Brief verwahrte.
Mahmut wandte den Blick von den Stoffen ab und zögerte, denn er erkannte den Mann nicht. Er neigte leicht den Kopf und sah, dass der Werkmeister ihm etwas hinstreckte.
»Eccellenza, die Zeit ist knapp …«, flüsterte Rosso hastig. »Ich bin der Vater von Giorgio Rosso, Gefangener auf den SchiffenEures Herrn, des Sultans. Seine Freiheit hängt von diesem Buch ab, auf das der Großwesir Sokollu Mehmet seit langem wartet. Ich vertraue es Euch zusammen mit diesem Brief an, Signore. Um der göttlichen Größe und Güte willen, bringt es Seiner Exzellenz, dem Großwesir, und verwendet Euch für mich.«
Der Türke zögerte noch immer, dann nahm er Brief und Buch, steckte sie in seine aus Goldfäden gewebte Tasche und wandte sich wieder dem Werkmeister zu.
»Sagt mir noch einmal den Namen Eures Sohnes«, bat er leise.
»Giorgio Rosso«, antwortete Bepo flüsternd.
Auf Mahmuts Gesicht trat Verwunderung, die beim Werkmeister eine heiße Welle der Bestürzung auslöste.
»Wisst Ihr etwas? Ist mein Sohn wohlauf?«, flehte er mit brechender Stimme.
Die Antwort konnte er nicht mehr hören, denn er bemerkte, dass der Stoffhändler ihn anstarrte. Auch Mahmut hatte es gesehen. Er drückte die Tasche an sich und verließ den Laden mit erlesenen Seidenstoffen im Wert von sechzig Dukaten und Damast, der noch einmal vierzig kostete.
Nicoletto Contarini zückte Papier und Feder und füllte die Quittung aus, mit welcher der Stoffhändler sich den Betrag beim Ufficio delle Rason Vecchie abholen konnte. Während Contarini schrieb, flüsterte der Händler ihm
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