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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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Mahmut nach Murano zu bringen und vor Sonnenuntergang zurückzukehren.
    Auf der Brücke folgte ihnen eine Schar Bettler, die eine jämmerliche, eintönige Litanei anstimmten. Zu ihnen gesellte sich eine große Menge Neugieriger, die meisten mit guten Absichten, doch von Zeit zu Zeit erhoben sich die Rufe der üblichen Aufwiegler: »Dreckskerl! Türkenhund!« Auf die Rufe folgte lautes Gelächter, und es war nicht leicht für den jungen Contarini, diese Frechheiten mit einem Wortschwall zu übertönen, damit sie nicht an Mahmuts Ohren gelangten. Auf der Brücke ließen die unzähligen Füße das hölzerne Bauwerk erbeben und widerhallen wie die Trommeln am Himmelfahrtstag.
    Auch Bepo Rosso und Annina hatten sich unter die bunte Menge gemischt, sie gingen Arm in Arm hinter dem Türken her wie hinter einem Schutzheiligen und wären ihm zu Fuß bis nach Konstantinopel gefolgt.
    Alles geschah in wenigen Sekunden. Einer der Bettler, ein junger Mann von zwanzig Jahren zückte blitzschnell ein Messer und schnitt im allgemeinen Durcheinander den Schulterriemen von Mahmuts Tasche durch. Er riss die Tasche an sich, und weg war er, während schon jemand schrie: »Haltet den Dieb! Haltet ihn!« Bepo Rosso, der die Szene von nahem verfolgte, sah den Mann schnell an sich vorbeilaufen und in der Menge verschwinden.
    »Geh nach Hause, Annina«, sagte Bepo und machte sich, ohneihre Antwort abzuwarten, an die Verfolgung des Diebes. Von der Menge hin und her gestoßen, folgte seine Frau ihm mit Blicken, bis sie ihn zwischen den bunten Girlanden der Stoffe verschwinden sah.

82
    Zuàn Francesco Ottobon, der im linken Seitenschiff der Krypta von San Marco kniete, wurde von einer mächtigen Rührung ergriffen und fühlte sich in Verbindung mit der Wesenheit, die alles umfasst und vereint. Er hörte sie im Tedeum, gesungen von den Diakonen der Schola Cantorum, die den Altar umringten und von Don Gioseffo Zarlino, dem Leiter der Dogenkapelle, dirigiert wurden. Er sah sie im Schleier aus Weihrauch, der das blendende Weiß der fünfzig Säulen aus griechischem Marmor und das dunkle Rot der Backsteine des Kreuzgewölbes dämpfte. Er erkannte sie in der Gemeinschaft der auf den Patriarchen Giovanni Trevisan gerichteten Blicke, während dieser, unterstützt vom jungen Primicerius Luigi Diedo und einer beträchtlichen Menge Ministranten und Messdiener, die feierliche Messe zelebrierte.
    In dieser Krypta, die den Ernst des Ritus unterstrich, indem sie die Menschen an ihre Angst vor dem Tod gemahnte, musste Ottobon an seine Mutter denken. Sie fehlte ihm, und er rief sie um ihren Schutz an. Auch an seinen Vater dachte er, er spürte, wie stolz er auf seinen Sohn war und meinte ihn sogar flüstern zu hören: »Über alles geliebter Sohn.« Da stiegen ihm Tränen in die Augen. Er unterdrückte sie, denn Zuàn Francesco Marin saß direkt hinter ihm, so nah, dass er es bemerken könnte. Gleich nach dem feierlichen Segen würde die Via Crucis beginnen, und die Gläubigen, die die große Krypta füllten, würden die Prozession entlang der Kreuzwegstationen aufnehmen. Dann würde der Großkanzler Ottobon sich endlich dem amtlichenChiffreur Marin nähern und ihm den Grund für diese höchst ungewöhnliche, unerwartete und riskante Begegnung nennen können. Denn das Risiko, das Marin einging, war groß, und das Überleben dessen, was von dem Bund der Wächter blieb, stand auf dem Spiel, nachdem die Raticosa-Chiffre von seinem übereifrigen, talentierten Schüler Pietro Amadi entziffert worden war.

83
    Die süßlich nach Blut, Fleisch und Innereien riechenden Schwaden aus dem öffentlichen Schlachthaus erfassten Bepo bei den Beccarie, und als sich dieser Geruch mit dem besonderen Moment verband, überkam ihn die Lust zu töten. Er sah den Dieb nach rechts in die Calle del Campanile einbiegen. In diesem Viertel aus hohen Häusern und engen, verwinkelten Gassen durfte er ihn nicht aus den Augen verlieren, er musste die Sache schnell erledigen. Er rannte los, der andere ebenfalls. In der Calle Miani, einer engen Straße, die am Rio di San Cassiano endete, saß er endlich in der Falle. Rosso kam näher, der Mann blieb stehen. Hinter ihm war nur noch Wasser.
    »Was willst du von mir?«, knurrte der Bettler. »Geh nach Haus, das ist besser!«
    Der Werkmeister achtete nicht auf die Worte, sondern näherte sich. Der Mann zog sein Messer.
    »Ich hab dir gesagt, du sollst abhauen. Los, verschwinde!«
    Bepo Rosso zog seine Weste aus und wickelte sie sich um den linken

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