Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
Mühen, als müsste er gleich ein paar Zähne ausspucken. Neben ihm standen die anderen als Bettler verkleideten Fanti. Derjenige, der geschossen hatte, beteuerte immer wieder, er habe Rosso getroffen. Alvise Mocenigo aber, der neben einer der Laternen stand, las kopfschüttelnd den Brief des Werkmeisters an den Großwesir Sokollu.
86
Bepo Rosso lag auf dem großen Bett. Das Blei war in die linke Schulter gedrungen, der Knochen hatte es aufgehalten. Erst hatte das Blut das Laken durchtränkt, jetzt sonderte die Wunde nur noch Serum ab. Rosso verdrehte den Kopf, betrachtete sie und strich mit den Fingern darüber. Er tat es vollkommen gleichgültig, als gehörte die Wunde einem anderen. »Mach schnell«, sagte er zu Annina, die über das Feuer gebückt stand. Die Klinge eines Dolches über die Flammen haltend, drehte sie sich zu ihrem Mann um. Bepo lächelte ihr zu. »Tu, was du tun musst. Hab keine Angst.«
Annina betrachtete die glühende Klinge und trat ans Bett. Dann legte sie sie auf die Wunde, die zu zischen begann. Bepo schloss die Augen, verzog das Gesicht und ballte die Fäuste. Noch zweimal berührte sie die Wunde schnell hintereinander mit der Klinge, die sich schon als dunkle Spur abzeichnete. Sie kontrollierte, ob alles gut versengt war, dann begann sie, mit der Spitze darin zu bohren, als holte sie Kerne aus einem Apfel. Die kleine Bleikugel fiel ihr in die Hand. Sie zeigte sie Bepo, der nur schwach nicken konnte. Annina legte den Dolch in einen Eimer Wasser, holte einen Baumwollstopfen aus einem Glas voll Essig und benetzte die blutende Fleischwunde.
»Jetzt näh sie zu«, murmelte Bepo mit letzter Kraft, »als wäre sie ein altes Segel nach dem Sturm.«
Anninas Augen waren voller Tränen. Sie holte eine gebogene Nadel, an der ein Faden hing, aus dem Essigglas. Sie sah ihren Mann an, hob die Nadel und begann zu nähen.
Er biss die Zähne zusammen, kein Klagelaut kam über seine Lippen.
87
Andrea wusste, dass er sich beeilen musste. Wenigstens war es ihm gelungen, Bernardo nach Hause zu bringen. Er wohnte gleich neben den Sagredo-Häusern, die durch die Explosion des Arsenale zerstört worden waren. Auch seine bescheidene Wohnstatt hatte Spuren der Verwüstung davongetragen. Es war keineswegs leicht gewesen, ihn zu beruhigen, Bernardo war von Natur aus misstrauisch, und Andrea hatte ihm versprochen, dass er ihm bis zum Abend Nachrichten von Sofia bringen würde, ob es nun gute oder schlechte waren.
Bei seiner Rückkehr in die Bragola hatte er Francesco alles erzählt. Dem Bericht des Hauptmanns Grifo zufolge war Sofia Ruis nach San Domenico gebracht und wahrscheinlich in eine der Zellen gesperrt worden, über die der Inquisitor im Gästehaus des Klosters verfügte. Als Gefängnisanwalt hatte Andrea, gemäß den Vereinbarungen zwischen Venedig und Rom, keinen juristischen Zugriff auf die Gefängnisse des Heiligen Offiziums. Nur die drei Savi für Ketzerei durften an den Arbeiten des kirchlichen Gerichts teilnehmen und hatten ein Mitspracherecht. Im Geist ging Andrea die Namen der Patrizier durch, die dieses Amt bekleideten, aber Melchiorre Michiel und Giulio Contarini, beide über siebzig, hatten ihren Frieden mit Gott gemacht und waren zu papsttreu, um gerichtliche Kämpfe gegen die Kirche und die Ehre Gottes zu unterstützen. Blieb Alvise Mocenigo, und allein der Gedanke, ihn sprechen zu müssen, bereitete Andrea tiefes Unbehagen. Trotzdem musste er es versuchen.
Bei den Schiavoni angekommen, gab Andrea einem Gondoliere drei Lire, damit er Francesco nach Hause brachte, der dieses Mal nur schwach protestierte, denn er hatte Kopfschmerzen und schwankte vor Müdigkeit. Als Andrea ihn wegfahren sah, wurde ihm bewusst, wie groß seine Zuneigung zu seinem Mitarbeiter war. Er musste unbedingt versuchen, die Wahrheit herauszufinden.
88
Nichts von dem, was hundertfünfundachtzig Fuß tiefer geschah, gelangte bis auf die Attika des Campanile. Die Luft war nur erfüllt vom Kreischen der Möwen, empört über das Eindringen der Menschen in Höhen, die allein ihnen gebührten. Zu fünft waren sie nach dem letzten Schlag zur Mittagsstunde hinaufgestiegen: Mahmut Bey, Ser Nicoletto Contarini, der Hauptmann der Wache an der Piazza San Marco, der diensthabende Glöckner und sein Stellvertreter. Der Aufstieg über die sechsunddreißig Stufenrampen zum Glockenraum war kräftezehrend und langsam gewesen. Mahmut schwankte wie ein Pendel zwischen schwärzestem Zorn und blanker Angst hin und her, je nachdem, ob er
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