Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
hatten ihre Stände an der Riva degli Schiavoni aufgebaut, und der Rauch des erhitzten Fetts erfüllte die Straße. Dieser Karneval klang, teils wegen der Explosion des Arsenale, teils wegen der Hungersnot und des drohenden Kriegs gegen die Türken, traurig aus, fast wie eine lästige Pflicht. Hier und dort widerstanden die Stadtteilfeste, die veranstaltet wurden, um die Kinder zum Lachen zu bringen und wenigstens eine Zeitlang von den Sorgen der Eltern zu befreien. In diesem Karneval, der einer vorgezogenen Fastenzeit ähnelte, blieben der Karnevalsdonnerstag und der Dienstag, der den Karneval abschloss, die einzigen Tage, an denen gefeiert wurde. Ohne jeden Protest der Zehn hatte der Senat den langen Reigen aus Festen und Feiern, der sich immerhin vom Rialto bis San Marco und entlang der Schiavoni bis nach Castello hinzog, gefördert und finanziert, um die Spannungen in einer leidgeprüften, erschöpften Stadt zu mildern.
Andrea ging hinaus in die Sonne auf die Mole und folgte in einigem Abstand dem Menschenstrom, der sich zwischen Tierkäfigen, Tanzbären, abgerichteten Papageien und Affen, Bühnenfür Scharlatane, Salbenverkäufer, Jongleure, Feuerschlucker, Astrologen und Seiltänzer auf den Ponte della Paglia zu bewegte. Die Menschen hatten sich verwandelt, hinter tausenderlei farbenfrohen Kostümen und Masken versteckt: Harlekine, Schornsteinfeger, Buckelige, Teufel, Türken in Ketten, Vogelfänger, Angeber mit Pferdeköpfen und Spaßvögel mit Eselsohren, Soldaten und Jäger mit unechten Flinten. In diesen Verkleidungen, mit denen man die Rollen tauschen durfte, ohne sich zu schämen, wurden Arme und Reiche, Junge und Alte gleich.
Endlich gelangte Andrea nach Santa Ternita, wo Bernardos Haus lag. Auch dort gab es ein kleines Fest im Innenhof.
»Verehrter Avvocato! Kommt, kommt und trinkt mit uns!«, lud Bernardo ihn herzlich ein.
»Wo können wir reden?«, fragte Andrea den Arsenalotto nur.
Die prächtige Mascaréta für Regatten, eines jener Boote, die leicht über das Wasser gleiten, die der Wind dreht wie Papier, ein einziger Ruderschlag aber wie ein Delfin davonschießen lässt, fuhr über den Rio di Santa Ternita, angetrieben von Bernardo, der sie mit gekreuzten Riemen energisch ruderte.
»Wir müssen Sofia dort herausholen. Morgen, am letzten Tag des Karnevals«, sagte Andrea und begann sofort, Bernardo seinen Plan darzulegen. Eine halbe Stunde nach dem Läuten zur Terz sollte er mit einer schwarzen Gondel hinter San Giorgio Maggiore sein. Er sollte sich den Bart rasieren und die Haare scheren, den schwarzen Mantel und Hut eines Arztes tragen und Lebensmittel und Wasser für fünf Tage besorgen. Außerdem sollte er beim besten Konditor von Castello drei Pfund Marzipan und Konfekt kaufen. Andrea gab ihm zehn Dukaten für die Maskerade und die Süßigkeiten und erklärte, dass Bernardo eine Erlaubnis für ein medizinisches Gutachten über den Gesundheitszustand von Sofia Ruis bei sich haben würde. Gefälscht natürlich. Andrea wies ihn auf die Gefahren hin, aber Bernardo willigte ein, überglücklich, dass er helfen konnte.
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Loredana hatte ihre schönsten Gemälde und Wandteppiche phantasievoll im Portikus und zwischen den Tischen im Garten verteilt. Darunter waren hervorragende Werke von Lotto, Carpaccio, Tintoretto, Vivarini, Giolfino, Tizian und Bellini. Um den Portikus größer erscheinen zu lassen, hatte sie sein Deckengewölbe mit silberbestickten Seidentüchern dekoriert und gut dreißig Spiegel aus Cristalìn an die Wände gehängt. Mit den Cesendelli, den Laternen aus Reispapier und den Kandelabern, deren Licht unzählige Male reflektiert wurde, erschien all das, was ohnehin schon opulent und üppig war, so atemberaubend prächtig, dass es über alle Kritik erhaben war und nur Bewunderung erregte.
Die Herkules-Wettkämpfe waren mit großer Begeisterung aufgenommen worden, und viele der Gäste hatten nach dem Essen das Haus Mocenigo bereits verlassen.
Mahmut Bey hatte sich, obwohl sein islamischer Glaube es ihm verbot, während der ganzen Mahlzeit am Malwasier und dem Frizzante aus Conegliano ausgiebig gütlich getan. Diesen ausgezeichneten Weinen hatte Dottor Fausto Pavan, ein Fachmann für Gifte und Betäubungsmittel, die rechte Dosis Solanum hinzugefügt, ein etwas schwächeres Schlafmittel als Opium. Derselben Behandlung war Claude du Bourg unterworfen worden, den das Betäubungsmittel in eine hemmungslose Heiterkeit versetzte.
Doktor Pavan ging zu Alvise Mocenigo und flüsterte
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