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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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der ging den Brief holen.
    »Für Euch, Signore.«
    Formento öffnete das Papier. Als er den Brief gelesen, wieder zusammengefaltet und in der Tasche seiner Toga verstaut hatte, hatten sich seine Züge verhärtet. »Zurück in den Palazzo«, befahl er und ging zur Brücke, wo eine Gondel wartete.

102
    Der Anwalt Giacomo Zon hatte Andrea an der Tür des Vorzimmers zur Avogarìa in den Loggien des Palazzo abgefangen. Diese Geschichte zog sich nun schon seit ewig hin, an jedem zweiten Tag wiederholte sich die Quälerei, und immer begann sie mit den Worten: »Hast du mit Ihrer Durchlaucht, deinem Vater, gesprochen?« Andrea gab immer die gleiche Antwort: »Du musst Geduld haben, Giacomo, meinem Vater geht es nicht gut.«
    Anders als sonst hatte Zon an diesem Tag jedoch nicht mit dem üblichen »Nun gut, versuch es, sobald du kannst« geantwortet, denn ihm schien, als sei der Doge seit einigen Tagen wieder leidlich in Form. Darum hatte er Andrea mit Klagen bestürmt, die Zeit gehe dahin und der Moment sei günstig für die papsttreue Fraktion im Pien Collegio. Er hatte sich mit der Unterstützung gebrüstet, die ihm der Nuntius Facchinetti gewähre und vom Kreis gefaselt, der sich durch ein einziges Wort der Wertschätzung und Zustimmung des Dogen schließen könne. Seine Augen glänzten vor Rührung.
    Andrea hielt es nicht mehr aus, denn all seine Sorgen und Gedanken waren in diesem Augenblick auf das gerichtet, was wenige Schritte weiter im Saal der Avogarìa vor sich ging, wo sich seit über zwei Stunden die Delegation beriet, die San Servolo besichtigt hatte und über Sofias Schicksal entscheiden sollte. Zwei Stunden waren zu viel. Es ging um ein Menschenleben, und für Andrea war der politische Aspekt der Sache zweitrangig im Vergleich zum ärztlichen, den Luca Foscari vertrat. Andrea bezweifelte nicht, dass der Freund sein Wort halten würde.
    »Hörst du mir überhaupt zu?!« Zons Stimme war schlagartig scharf geworden, und Andrea verfluchte den Tag, an dem er Zon versprochen hatte, sich beim Dogen für seine Kandidatur zum Savio für Ketzerei zu verwenden.
    In diesem Moment öffnete sich die Tür der Avogarìa. Als Erster kam Senator Nicolò da Ponte mit finsterer Miene heraus. Er sah Andrea, schüttelte den Kopf und sagte leise in bitterem Ton: »Es hat nicht funktioniert, ich bedaure.« Als er da Mula ankommen sah, zog er es vor, sich eilig zu entfernen. Es musste einen heftigen Streit gegeben haben. Da Mula blieb auf der Schwelle stehen, als er Andrea warten sah, dann hakte er den durch die Tür kommenden Provveditore über die Klöster unter und steuerte mit ihm auf die Scala d’Oro zu. Die Letzten waren Francesco Pisani und Luca Foscari.
    Luca blieb stehen, um Bericht zu erstatten. »Bei vier Abstimmungen wurde keine Mehrheit erreicht«, sagte er aufrichtig beschämt.
    »Wie ist das möglich? Nur da Mula war dagegen!«, rief Andrea erregt aus.
    »So war es nicht, es gab weitere Gegenstimmen.«
    »Wer?«, fragte Andrea barsch.
    Luca zögerte. Zwei Schritt von Andrea entfernt sah er den Anwalt Zon, der höchst interessiert zu sein schien.
    »Frag mich nicht.«
    Andrea barg verzweifelt das Gesicht in den Händen.
    »Wir können die Sache vor den Großen Rat bringen«, schlug Luca vor.
    »Sofia geht es schlecht!«, rief Andrea aus. »Wir dürfen nicht länger warten!«
    »Ich habe getan, was ich konnte.« Luca schüttelte enttäuscht den Kopf, während die Glocke von San Marco zum Ende der Mittagspause läutete.
    Andrea drängte es, zu gehen. Sein Blick wanderte von seinem Freund zu dem verwirrten Gesicht des Anwalts Zon, der stummin einer Ecke wartete. Dann wandte er sich zur Scala dei Censori. Er musste etwas für Sofia tun. Aber was? Den Gedanken, mit seinem Vater zu sprechen, verwarf er sofort, denn nach dessen Eingreifen im Senat und dem Brief zugunsten Sofias, den er Andrea anvertraut hatte, blieben dem Dogen nun angesichts des negativen Urteils der Kommission keinerlei Einflussmöglichkeiten mehr. Vielleicht konnte Andrea mit Sebastiano Venier sprechen, doch auch der versuchte in letzter Zeit, sich ruhig zu verhalten, um zu vermeiden, dass man ihn unter dem Vorwand einer Ernennung zum Provveditore irgendeines weit entfernten Gebietes aus Venedig entfernte. Sogar von Corfu war die Rede.
    Als Andrea sich beim Verlassen des Dogenpalastes noch einmal umdrehte, empfand er ein erstickendes Gefühl der Ohnmacht, als wären all diese Steine zur beweglichen Masse geworden und würden ihn im nächsten Moment wie

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