Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
Vom Netzwerk:
Freundschaft und Vertrautheit mit dem Dogen konnte er als Botschafter zwischen dem Gericht, das Andrea beschuldigen wollte, und dem kranken, bekümmerten Vater auftreten. Denn den Sohn des durchlauchtigsten Fürsten der Serenissima zu verhören war nicht nur ein juristischer Akt, sondern auch ein Politikum mit schwerwiegenden, unvorhersehbaren Konsequenzen.
    Auch Senator da Ponte hatte die Einladung von Mocenigo überrascht, die ihn direkt vom Fest auf der Giudecca zu diesemaußerordentlichen abendlichen Treffen im menschenleeren Palazzo Ducale geführt hatte. Nicolò da Ponte waren die alten Geschichten um den Dogen Francesco Foscari und seinen Sohn Giacomo oder den Dogen Leonardo Loredan und seinen Sohn Lorenzo gut bekannt: tragische Geschichten, die sich allen, ob Adelige, Bürger oder dem Volk, lebhaft ins Gedächtnis geprägt hatten. Als Dolfin dann die Schwere der Anklagen schilderte, die gegen Andrea erhoben wurden, schlug da Ponte in einer unwillkürlichen entsetzten Reaktion die Hände vor das Gesicht. Denn Anna Tagliapietra, die Novizin der Celestia, verführt, geschwängert und ermordet zu haben würde Andrea nicht nur in alle Ewigkeit verdammen, sondern bei sämtlichen juristischen Instanzen mitsamt dem Volkszorn direkt unter das Fallbeil des Henkers bringen.
    Der Großkanzler Ottobon hingegen blieb äußerlich ungerührt, obwohl er insgeheim darüber erschrak, dass er alle Gerüchte im Palazzo über ein Manöver, das den Dogen durch Verleumdung seines Sohnes entehren sollte, bislang immer für absurd erklärt hatte. Und das war eine unverzeihliche Nachlässigkeit für einen Kanzler und einen Freund, denn Andrea, den Ottobon seit seiner Kindheit kannte, konnte sich eines solchen Verbrechens keinesfalls schuldig gemacht haben. Er, der Auserwählte, der Sohn von Lucrezia.
    Alle hatten gesprochen außer dem Senator Nicolò da Ponte, und jetzt waren alle Blicke auf ihn gerichtet.
    »Senatore«, forderte Mocenigo ihn mit einer leichten Verneigung auf, »würdet Ihr, die Ihr kraft Eurer Autorität und Eures Alters weit vertrauter mit den Geschäften des Palazzo seid, uns bitte Eure Meinung wissen lassen?«
    Obwohl da Ponte die großen politischen und diplomatischen Fähigkeiten Mocenigos schätzte, vertraute er ihm nicht ganz. Darum begann er, eine mögliche Antwort auf diese Frage, die allzu schmeichlerisch klang, sorgfältig abzuwägen. Dem Mann,der nach Loredans Tod höchstwahrscheinlich Doge werden würde, eine falsche Antwort zu geben, konnte gefährlich sein.
    »Messer Procuratore, hochverehrte Signori«, setzte er an, sich erst Mocenigo, dann den beiden anderen zuwendend. »Die Ehre, die Ihr mir erweist, ist so groß, dass sie nur mit der Gewichtigkeit der Antwort verglichen werden kann.« Wieder ließ er den Blick über die drei schweifen, verweilte jedoch nur bei Mocenigo. »Ich denke«, begann er besorgt, »die christliche Nächstenliebe gebietet, dass dem durchlauchtigsten Fürsten, der sehr krank und nunmehr am Ende seines Lebens angelangt ist, derartige Qualen und Entehrungen erspart bleiben. Aber die Rechtsgrundsätze, welche die ruhmreichen Väter dieser heiligen, gesegneten Republik uns hinterlassen haben, sind auch ihr Blut, ihr Lebenssaft und ihre Stärke. Ich bin aufrichtig überzeugt, dass es keine Freiheit ohne Gerechtigkeit gibt, und es gibt keine Gerechtigkeit, wenn einem Fürsten eine andere Behandlung widerfährt als einem Diener. Sollte Andrea Loredan sich also eines solch grauenhaften Verbrechens schuldig gemacht haben, ist es gerecht, wenn er dafür bezahlt, und zwar sofort.«
    Stille breitete sich aus.
    »Weise Worte, Senatore«, sagte Mocenigo nach einer Weile.
    »Sie ermutigen uns sehr«, bestätigte Dolfin.
    Als der Senator diese Äußerung hörte, erfasste ihn ein starker Widerwillen, denn er wusste, wie glühend Dolfin Andrea hasste. Was Mocenigo betraf, so wusste er um dessen Neigung, das Wohl und die Sicherheit der venezianischen Republik über jedes Mitgefühl und alle menschliche Güte zu stellen. Eben noch verspürte er das Bedürfnis, etwas hinzuzufügen, da hörte er sich schon sprechen, obwohl ihm die Gefahren wohl bewusst waren.
    »Ich möchte hinzufügen, dass es bei der Ausübung des Rechts auf Urteil und Bestrafung großer Vorsicht bedarf, denn noch schlimmer als unwillentlich ungerechte Rechtsprechung ist der bewusst böse, schändliche Gebrauch der Gesetze, um den Mitmenschen Leid zufügen oder sie zugrunde zu richten. Je mächtiger die Waffe ist, desto ehrlicher

Weitere Kostenlose Bücher