Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
zurück. »Ihr wollt sagen, dass Ihr sie entführt habt?«
»So ist es. Um sie zu retten.«
Der alte Glasmacher blickte ihn finster an. »Dann seid Ihr also auf der Flucht!«, schloss er.
»Seit drei Tagen.«
Jacomo fuhr sich mit einer Hand durch die weißen Haare und ging weiter. Stumm wanderten sie bis zum Buchenwäldchen, welches das westliche Ende des Zypressenwegs bildete.
»Ihr müsst fort von hier!«, rief Jacomo plötzlich aus, während er um einen Baumstamm herumging und die Zweige mit einer Hand beiseiteschob. »Nehmt Sofia und Gabriele und bringt sie weit weg, nach Lucca, Florenz, Siena. Tut es sofort!«
Andrea stellte sich ihm überrascht und besorgt in den Weg.
»Warum?«
»Tut, was ich Euch sage.«
»Erst erklärt Ihr mir, warum!«
Jacomo blieb wieder stehen und starrte Andrea an. »Granzo habe ich schon weggeschickt. Heute hätte Gabriele aufbrechenmüssen.« Er machte eine Pause. »Früher oder später werden die Sbirren der Serenissima hier ankommen!«
»Woher wisst Ihr das?«
Jacomo wollte antworten, doch dann ging er wortlos weiter. Andrea ließ nicht locker.
»Ich habe Euch etwas gefragt!«
»Ich weiß es, das genügt!«
Andrea ballte die Fäuste, um seinen Zorn zurückzuhalten. »O nein! Jetzt behandelt Ihr mich wie einen Schuljungen!« Er wartete, dann fuhr er fort: »Marin und Ermonia haben mir viel über den Bund der Wächter erzählt, und dass Ihr hierhergekommen seid, um die Bücher zu retten. Marin hat mich gebeten, Euch zu helfen, und ich habe beschlossen, es zu tun. So wie ich beschlossen habe, Sofia zu helfen! Ich habe sie zum Eremo gebracht, um Ihr den Sohn wiederzugeben! Dragan, ich will ein für alle Mal die Wahrheit hören!«
»Die Wahrheit?« Jacomos Augen blitzten ironisch auf.
»Ja! Ich will alles wissen! Warum zum Beispiel hasst mein Vater Euch noch immer so sehr? Ich will wissen, was vor dreißig Jahren geschehen ist!«
Stille.
»Ist es wegen des Diebstahls der Juwelen?«, beharrte Andrea.
»Erscheint Euch das wenig? Euer Vater und ich waren Freunde.« Jacomo verstummte und ging weiter.
»Und warum seid Ihr nach Venedig zurückgekehrt und habt den Galgen riskiert?«, bohrte Andrea weiter.
»Lucia Vivarini hat mich gerufen.«
»Wann ist das gewesen?«
»Anfang Juni, ein türkischer Teppichhändler hat mir einen Brief von ihr gebracht. Lucia war sehr besorgt. Jemand suchte nach den Büchern von Lucrezia und war ihnen schon sehr nah gekommen. Ich habe rasch eine Ladung Teppiche besorgt, und Sinan und ich sind losgefahren.«
»Wer ist Sinan?«
Jacomo schloss betrübt die Augen. »Er war mein Neffe, der Sohn des Bruders meiner Frau Yildiz, ein braver Junge, immer fröhlich, ein fleißiger Arbeiter. Er ist bei der Explosion gestorben, und ich konnte noch nicht einmal an die Familie schreiben, um ihnen von seinem Tod zu berichten.«
»Habt Ihr Kinder?«
Er schüttelte den Kopf. »Gott, der Herr, hat uns dieses Geschenk nicht machen wollen.«
»Und habt Ihr Eurer Frau geschrieben?«
Jacomo blieb stehen. »Yildiz ist vor zwei Jahren gestorben.«
Andrea bemerkte, dass seine Verbitterung gegenüber dem Alten langsam verflog. Er zeigte ihm wieder den Ring. »Den gleichen Ring habe ich bei einem der Toten vom Arsenale gesehen. War das seiner?«
Wieder überschattete Kummer Jacomos Gesicht. »Es war meiner.«
»Das war Euer Ring?«, fragte Andrea überrascht.
»Sinan und ich hatten die Kleider getauscht. Er hatte meine und ich seine angezogen. Immer wenn es um Geschäfte ging, habe ich mich als Diener verkleidet, damit es niemandem einfiel, Fragen zu stellen. Und ich habe ihm auch den Ring gegeben.«
»Ihr habt Euch aber auch als Pilger verkleidet?«
»Nur für meine Gänge durch die Stadt.«
»Und Ihr habt Gabriele benutzt, um mit der Äbtissin in Kontakt zu treten?«
»Das konnte ich natürlich nicht persönlich machen. Zu gefährlich.«
Andrea musterte ihn. »Was habt Ihr getan, nachdem Ihr in Venedig angekommen seid?«
Dragan ordnete einen Moment lang seine Erinnerungen.
»Sinan und ich haben mit den Verhandlungen um den Verkauf der Teppichladung begonnen, und ich habe Lucia Vivarini durch Gabriele benachrichtigt.«
»Darf ich Euch fragen, warum Ihr mir das alles nicht gleich erzählt habt?«
Jacomo sah ihm direkt in die Augen.
»Wann hätte ich das denn tun sollen? Im Gericht?«, erwiderte er lakonisch. »Außerdem sind die Wächter zur Geheimhaltung verpflichtet, vergesst das nicht.«
»Wie hätte es denn plangemäß ablaufen sollen?« fragte
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