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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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erfahrene Leser, so Gott wollte, an Bord eines von den Zehn bezahlten Lastkahns ankommen. Also wanderte Riccio, die Sonne im Gesicht, nervös am Ufer des Kanals auf und ab. Diese Anlegestelle, wo Reisende,Straßenverkäufer, Hauptmänner und Sbirren zusammenkamen, war ein lebhafter, niemals ruhender Marktplatz. Außerdem standen hier viele Männer diskutierend, streitend und lachend zusammen, deren Stimmung jäh umschlagen konnte. Es waren Leute von der Zunft der Treidler, die sich mit denen von der Zunft der Träger in den Haaren lagen. Erstere, die die Boote an langen Seilen durch die Wasserstraßen zogen, brachen nämlich oft in das Gebiet der anderen ein, deren Arbeit ausschließlich darin bestand, Boote zu beladen und zu entladen. So gab es fortwährend Streit, in den sich auch noch die Anleger einmischten, die stets gern bereit waren, gegen guten Lohn mit anzupacken. Immer wenn Schiffe ankamen und ablegten, erreichte das Geschrei seinen Höhepunkt, um in den Zeiten dazwischen und bei den versöhnenden Saufgelagen abzuflauen, mit jeder neuen Ankunft aber sofort wieder anzuheben.
    Darum hörte Riccio zunächst das laute Stimmengewirr an der großen Biegung im Osten, wo das Wasser das Canale Piovego sich mit dem Bacchiglione mischt, dann sah er ein Dutzend Treidler an zwei Seilen auftauchen, und der runde Bug eines Lastkahns kam in Sicht. Dort stand der Inquisitor Schellino, die Kapuze auf den Schultern, und sein schwarzer Umhang über der weißen Kutte wehte in der Morgenbrise. Er hätte ein Missionar sein können, der ans Ufer eines Landes der Wilden kommt und, sobald er von Bord geht, das große Kruzifix errichtet, heroisch und voll der Gnade Gottes, bereit zum Martyrium. Seine zehn Mitbrüder hingegen, denen Schellinos mystischer, gegenreformatorischer Eifer fernlag, ja, die sogar für ein friedliches Zusammenleben mit den Lutheranern eingetreten wären, saßen, in ihre schwarzen Umhänge gehüllt, ermattet auf den Bänken, manch einer schlief sogar, von der langsam schaukelnden Fahrt des Bootes in den Schlaf gewiegt.
    Angelo Riccio hob die Hand, er freute sich über die Ankunft der neuen Truppen. Auch der Inquisitor winkte freudig grüßend, denn Venedig für diese dreitätige Dienstreise verlassenzu können war ihm angesichts der zunehmenden Spannungen in der Stadt äußerst willkommen gewesen. Hinter der Kabine des Kahns tauchte eine weitere schwarze Kutte auf, Lorenzo da Mula, der Ratgeber der Zehn, ehemaliger Savio für Ketzerei, und, wie der Nuntius Facchinetti ihn beschrieb, »mit Feuereifer Gottes Ehre dienend«.
    Am gegenüberliegenden Ufer saß Filippo Tomei in einer Gondel unter einem großen Zelt und beobachtete, wie freundlich und begeistert Riccio den Inquisitor und da Mula begrüßte. Er dankte dem Himmel, dass die Ereignisse nunmehr dem gleichmäßigen, friedlichen Gang eines Flusses folgten, der als Sturzbach mit tosenden Stromschnellen, Strudeln und Wasserfällen über steile Abgründe begonnen hatte und nun behäbig dem Meer zuströmte, um sich mit diesem zu vereinen. Tomei gab dem Ruderer am Heck ein Zeichen, der mit einem knappen »Ohe!« für seinen Kollegen am Bug die Gondel vom Ufer abstieß und zu rudern begann.
    Tomei ließ sich gegen die gepolsterte Lehne fallen und schloss die Augen. In der Tasche hatte er einen Beutel mit hundert Florin und einen von Francesco de’ Medici unterzeichneten Passierschein, der einen gewissen Bianco Bianchi, Händler mit Stoffen, gemäß den Vereinbarungen zwischen der Serenissima und dem Großherzogtum ermächtigte, ungehindert Kirchen und Klöster aufzusuchen, um seinen Musterkatalog mit Stoffen für Paramente und die Ausstattung sakraler Räume vorzustellen. Bald würde die Gondel den Piovego verlassen, um in die frischeren, duftenden Gewässer des Bacchiglione zu gleiten, auf dem sie bis nach Bassanello gelangen würde. Von diesem Hafen fuhr stündlich ein Kahn nach Battaglia ab, der langsam von zwei Pferden über den Treidelweg am Ufer gezogen wurde. Tomei berechnete, dass er gegen Abend in der Hohen Einsiedelei ankommen würde, um dem Triumph der Vernunft über den Betrug, des Lichts über die Finsternis beizuwohnen.

121
    Die Sbirren hatten Nicolò Bozza, genannt Granzo, in das Gefängnis von Rovigo gebracht. Beim ersten Reißen mit dem Strick hatte er angefangen zu schreien. Beim zweiten war er in Tränen ausgebrochen. Noch vor der dritten Folter hatte er alles gestanden: seinen richtigen Namen, die Flucht aus Venedig zusammen mit Jacomo Dragan

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