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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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gleichmäßig vorankam, denn an den steilsten Stellen schleppten die Männer sich mühsam voran und fielen zurück.
    »Sie werden anhalten, wie sie immer angehalten haben«, flüsterte der Abt gelassen, während ihr Grüppchen die Häuser der Eremiten hinter sich gelassen hatte und auf dem Westhang des Berges weiterging, wo die Soldaten schneller aufstiegen und nur noch eine Viertelmeile entfernt waren. Andrea, der das 1274 vom Zweiten Lyoneser Konzil erlassene Gesetz über die Immunität von Kirchen, Klöstern, Friedhöfen und heiligen Stätten kannte, grübelte dennoch über die seraphische Ruhe nach, die alle ausstrahlten. Er gesellte sich zu Jacomo, um ihn nach dem Grund zu fragen, obwohl er wenig Hoffnung hatte, die Wahrheit zu erfahren.
    »Meint Ihr nicht, der Moment sei gekommen, mir einiges zu erklären?«, fragte er leise.
    »Seht Ihr denn nicht?« Sein Gegenüber schien sich zu wundern. »Wir sind umzingelt, dies ist eine Belagerung nach allen Regeln der Kunst.«
    »Natürlich sehe ich das! Aber Ihr wusstet, dass sie kommen würden, Ihr habt sie erwartet!«
    Jacomo schwieg einen Moment lang.
    »So ist es, aber was können Belagerte schon anderes tun, als den Feind erwarten und sich vorbereiten?«
    Andrea fühlte sich von den schlauen Augen Dragans verspottet.
    »Ermonia hat mir gestanden, dass sie Eure Flucht organisiert hat. Dazu haben die hundertzwanzig Dukaten gedient, die ich für Euch in die Glashütte bringen sollte. Und wenn einer flieht, hat er einen guten Vorsprung, nur ein verrückter, ein törichter Mensch bleibt stehen, um auf seine Verfolger zu warten.« Andrea holte Luft und fügte mit bebender Stimme hinzu: »Warumhabt Ihr Euch hier versteckt? Wenn die Bücher meiner Mutter in diesem Kloster sind, warum lenkt Ihr dann den Feind hierher?«
    Dragan ging weiter, er zögerte nur kurz, bevor er antwortete: »Die Hohe Einsiedelei ist der sicherste Ort, wo wir einen kleinen Teil opfern können, um das Ganze zu retten.«
    »Dragan, ich verstehe Euch immer noch nicht, wollt Ihr bitte deutlicher werden?«
    Jetzt blieb der Glasmeister stehen. »Wisst Ihr, wie viele Handschriften in der Bibliothek von Alexandria in Ägypten verbrannten?« Er wartete, bevor er die Antwort gab. »Manche sagen fünfhunderttausend. Andere eine Million. Man wird es nie erfahren. Es geht auch nicht um Zahlen, sondern um die Sache selbst: dieses Feuer zerstörte alles, was seit der Zeit Homers gedacht und aufgeschrieben worden war, alle Kunst und Wissenschaft, alle irdische und himmlische Geographie, die von den Seelen und den Körpern berichtet. Wir Wächter haben uns zur Aufgabe gemacht, zu verhindern, dass so etwas noch einmal passiert. Es war Lucrezia, Eure Mutter, die diese Idee hatte und mit all ihren Kräften verwirklichen wollte. Schon als Mädchen. Viele sind ihr gefolgt, weltliche und geistliche Männer aller gesellschaftlichen Ränge und kirchlicher Orden, es gab keine Unterschiede, keiner wurde ausgeschlossen. Das war das Wunder, das Lucrezia vollbrachte. Innerhalb von vierzig Jahren hat der Bund dreihunderttausend Bücher und Handschriften sammeln können, indem sie Kopien anfertigte und vermied, alle Werke an einem einzigen Ort aufzubewahren. Als der Tridentinische Index der verbotenen Bücher veröffentlicht wurde, haben wir unsere Bemühungen vervielfacht, und viele Bücher wurden versteckt. Hier auf diesem Berg kann den Wölfen einiges zum Fraße vorgeworfen werden, damit sie dem Dorf fernbleiben.«
    Im kalten Dunkel der Nacht begann Andrea zu verstehen, was Dragan ihm erklärte, indem er es mit den Worten von Zuàn Francesco Marin in der Bibliothek von San Michiel verband.
    »Eine Falle. Ihr habt Ihnen eine Falle gestellt   …«, sagte er, über diese Entdeckung staunend.
    »Ich würde es lieber eine Opfergabe an die Götter der Unterwelt nennen.«
    In diesem Augenblick begannen die Glocken der Einsiedelei Sturm zu läuten. Das war zuletzt vor zwei Jahren passiert, als der Wald brannte und dreihundert Männer mit Mistgabeln, Schaufeln und Sensen von Galzignan und weitere zweihundert von Torreglia heraufgekommen waren.

125
    Zuànbattista Iancarli, der Stadtvikar von Rovigo, erkannte seinen Fehler, als die Glocken zu läuten begannen, was um diese Zeit in der Nacht ein Hilferuf an die Menschen im Tal und auf den Bergen bedeutete. Dabei fiel ihm auch ein, dass er nicht in Rovigo, seinem Zuständigkeitsgebiet, war und dass er den Bürgermeister von Este, Gerolamo Baduarius, belogen hatte, als er ihm erzählte,

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