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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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Gefangenen sei die Phantasie durchgegangen, schwor,dass man ihn nicht angerührt habe, und auch er selbst habe kein Aufsehen erregen und niemanden erschrecken wollen, sondern nur Gutes beabsichtigt. Sodann las er den Steckbrief vor, einschließlich des auf die drei Flüchtigen ausgesetzten Kopfgeldes.
    Der Abt zeigte sich dankbar, erklärte aber, die beiden »Banditen«, wie Iancarli sie nenne, seien schon lang fort. Er beklagte den Übereifer des Statthalters und die nicht wiedergutzumachenden Folgen seiner Handlungsweise. Noch während der Abt sprach, erhob sich ein Stimmengewirr in der Ferne. Auf dem Weg zum Kloster stieg eine Menschenmenge mit Laternen, Knüppeln und Sensen den Berg hinauf.
    Damit die Situation nicht eskalierte, ließ der Abt das Zeichen für beendete Gefahr läuten. Dann wartete er auf die Bauern der ersten Dörfer Racola und Casetta. Er beruhigte die Gemüter, indem er den Familienoberhäuptern erklärte, was vorgefallen war. Derweil weinte und jammerte Granzo so sehr, dass alle Mitleid mit ihm bekamen.
    Dem Stadtvikar Iancarli und seinen Männern wurde erlaubt, die Nacht auf dem Gebiet des Eremo zu verbringen und zwischen den alten Ställen und dem Holzschuppen zu lagern. Für Granzo konnte der Abt nichts tun, was er bedauerte. Er nahm dem Vikar nur das Versprechen ab, den Jungen mit christlicher Nächstenliebe zu behandeln.

126
    Das Kapitel wurde in der Kirche abgehalten, und die ganze Gemeinschaft war versammelt, bis auf ein paar Mönche und Novizen, die auf den Mauern Wache standen. Der Abt wollte Jacomo neben sich, Andrea, Sofia, Gabriele und Filippo Tomei wurde erlaubt, zuzuhören. Zunächst schilderte der Abt die Lage: Die überraschende Ankunft der Soldaten aus Rovigo änderte nichts an dem, was bereits getan und beschlossen war. Am nächsten Tagwürden die Inquisitoren eintreffen, wie Tomei berichtet hatte. Mit Gottes Hilfe werde also alles sehr rasch geschehen, und schon bald habe das Kloster wieder Frieden. Jetzt ging es darum, die Gäste in Sicherheit zu bringen, und angesichts der rings um das Kloster lagernden Soldaten schlug der Abt vor, ausnahmsweise den unterirdischen Gang zu öffnen. Dies war der einzige Moment, in dem die Worte des Abts ein leises Gemurmel hervorriefen. Offenen Widerspruch gab es jedoch nicht, das Kapitel stimmte zu. Man beschloss, dass sie in zwei Stunden aufbrechen sollten, während der Vigil, einer Stunde, in der die Sinne sich dem betäubenden Schlaf hingeben und Überfälle, Diebstähle und Fluchten begünstigen.
    Andrea und Sofia wechselten Blicke, und das Schweigen wog schwerer als jedes Wort. Sie füllten ihre Bündel mit Proviant für ein paar Tage, Kastanienkuchen, Nüsse, Zwieback, Wasser und Käse. Der Abt hatte die Karten geholt und zeigte Filippo Tomei mit Hilfe von Frate Cristoforo, einem guten Kenner der Umgebung und ihrer Gewässer, den Weg. Sie würden Tomeis Karren nehmen und durch die Täler im Landesinneren nach Westen fahren, bei Vo’ di Valbona herauskommen, sich dann nach Süden Richtung Valle Urbana wenden, den Adige an dieser Stelle überqueren und bis nach Stienta zur Fähre über den Po gelangen, der Grenze der Republik Venedig. Am anderen Ufer begann das Herzogtum Ferrara. Dort würde Bruder Cristoforo die Zügel Tomei überlassen und ins Kloster zurückkehren. Der Weg führte direkt nach Bologna, dann über den Raticosa-Pass nach Florenz. Es war eine lange, gefahrvolle Reise bis in die Toskana, aber eine andere Wahl hatten sie nicht.
    Jacomo hatte unterdessen das Sternenauge abmontiert, in seine Bestandteile zerlegt und in einer Nische des Campanile versteckt. Der gesamte Kapitelsaal des Himmels war wieder zu einem Teil des Dachbodens geworden. Die Mönche hatten alle in der Bibliothek verbliebenen Bücher und Handschriften sorgfältig kontrolliert, doch man befürchtete, dass der Inquisitor sich nicht damit zufriedengeben und Befehl zu einer gründlichen Durchsuchung geben würde. Alles schien in Ordnung. Es war Zeit, aufzubrechen.
    Der Abstieg in den Untergrund begann bei einer Lehne des Chorgestühls mit einem Stück Holz, das der Abt herauszog. Dahinter verbarg sich ein Schloss. Als der Schlüssel umgedreht wurde, drehte sich der Stuhl. Der Abt legte die Führung des Klosters in die Hände seines Stellvertreters und beruhigte ihn, er werde noch vor Sonnenaufgang zurück sein. Vier Laternen wurden angezündet, vier weitere für den Rückweg mitgenommen. Alles war geplant und berechnet. Ein betagter Frate führte die Gruppe

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