Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
er sei unterwegs nach Padua, um die Männer der Garnison auszutauschen. Außerdem hatte er nichts, was ihn ermächtigte, das Kloster zu betreten. Ihm wurde bewusst, dass sein brennender Wunsch, die Ausbrecher zu fangen, um sich vor der Signoria brüsten zu können, ihn in eine sehr üble Lage gebracht hatte, Grund genug für einen diplomatischen Zwischenfall, wenn nicht gar einen Volksaufstand, der in dieser von der Serenissima regierten Gegend unabsehbare Folgen haben konnte.
Kurzum, Zuànbattista wusste, dass diese Glocken seinetwegen läuteten, doch er wollte natürlich weder seinen verfrühten Abschied noch den Verlust aller Ämter riskieren, oder, schlimmer noch, ein paar Jahre im Gefängnis verbringen. Als er sich wieder gefasst hatte, rief er den Hauptmann und den Gendarmen zu sich. Kurz darauf brüllten die beiden seinen Befehl den inder Nähe stehenden Soldaten zu, worauf er sich in zwei gegenüberliegenden Halbkreisen fortpflanzte. Nach wenigen Minuten stand die Umzingelung am Waldrand still. Obwohl das Manöver so prompt erfolgt war, läuteten die Glocken noch immer, ihr Echo vervielfachte sich auf den Bergen und in den Tälern. Entsetzt dachte er, dass dieses Läuten mindestens fünf Meilen weit zu hören sein musste, und wenn er hätte rufen können: »Haltet ein! Im Namen Gottes haltet ein!«, hätte er es getan. Also befahl er den Hauptmann zu sich.
Der Abt sah zwei Laternen, die sich eilig auf das Kloster zubewegten, und zählte fünf Gestalten.
Auch Sofia und Gabriele, die hinter dem Mäuerchen des Gästehauses kauerten, hatten sie gesehen. Als die Gruppe näher kam, erregte eine kleine Gestalt, die zwischen zwei größeren ging, Gabrieles Aufmerksamkeit: Sie hatte lange Arme, einen breiten Brustkorb und magere, kurze Beinchen. Gabriele kannte nur einen mit einer solchen Statur.
»Hundsfott, Hurenbock, elender Verräter! Das ist Granzo, dieses Aas!«
Kurze Zeit später drängte sich das Klingeln des Glöckchens am Klostertor zwischen die schweren Schläge der Glocken. Der Abt gebot dem Bruder Glöckner, mit dem Läuten aufzuhören, und Jacomo, Andrea, Sofia und Gabriele, sich in der Kirche hinter dem Hochaltar zu verstecken. Dann eilte er zum Tor und öffnete das Guckloch.
»Wer seid Ihr?«, fragte er in strengem Ton.
Der Stadtvikar, der einen Sinn für hierarchische Ordnungen hatte, hob die Laterne, so dass sein Gesicht zu sehen war, und versuchte, sich aus dem Schlamassel zu ziehen, ohne die Hosen runterzulassen.
»Ich bin Iancarli, ehrwürdiger Vater, Statthalter von Rovigo, und bitte darum, Eurem heiligen Abt Ereignisse von unerhörter Tragweite mitteilen zu dürfen.«
»Ich bin der Abt, Messer Iancarli, und frage Euch, ob Ihr es für angemessen haltet, meine Kirche so zu belagern?«
Iancarli spürte, wie ihm in der Einsamkeit der Befehlsgewalt, wo es keine Möglichkeit gab, die Verantwortung auf andere abzuschieben, das Blut gefror. Der ausgeprägte Überlebensinstinkt bei Leuten mittleren Ranges, die immer auf dem Grund und Boden anderer nach Abflusskanälen suchen, gab ihm ein, sich ruckartig nach den beiden Soldaten umzudrehen, die Granzo festhielten.
»Bringt diesen Spitzbuben her!«, befahl er.
Die beiden hoben den Jungen in die Höhe.
»Lasst mich runter! Lasst mich runter!« Granzos Jammerrufe verteilten sich wie Korn, das aus vollen Händen nach allen Seiten geworfen wird.
»Dieser Bandit behauptet, Euer Gast gewesen zu sein, barmherziger Vater, und er sagt, dass zwei Gefährten bei ihm waren, ein junger, der andere alt. Ihr müsst wissen, heiliger Vater, dass alle drei gefährliche Mörder sind, auf der Flucht aus den Gefängnissen von San Marco, und wenn Ihr sie noch immer beherbergt, geht Ihr ein großes Risiko für Eure und die Unversehrtheit Eurer heiligen Patres ein!«
Der Erste, der reagierte, war ausgerechnet Granzo. Er ließ sich auf die Knie fallen, faltete die Hände und hob das Gesicht zum Guckloch in der Tür.
»Ich wollt Euch nicht verraten und bitte um Vergebung!«, begann er zu greinen. »Aber sie haben mir so furchtbar viele Schläge gegeben und haben mir mit dem Strick die Arme hinter dem Rücken verdreht und haben mir gedroht, sie werden mich zwischen den Säulen von Marco und Teodoro aufhängen!«
Der Abt gab dem Pförtner einen Wink. Der drehte den Schlüssel herum, und das Tor öffnete sich. Kaum sah Iancarli sich dem streng dreinblickenden Mönch in weißer Kutte gegenüber, warf er sich ihm zu Füßen und bat um Verzeihung. Er sagte, dem
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