Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
dem kleinen Kamin, drehte die Flamme seiner Öllampe kleiner, tunkte die Feder ins Tintenfass, und das Geräusch ihres Kratzens auf dem Papier verbreitete sich im Raum. Er schrieb an Andrea, er schrieb vom Schmelzen eines neuen Glases, davon, wie gut die Arbeit in der Hütte jetzt wieder voranging, von all den Aufträgen für Gläser, Tassen, Kelche mit und ohne Stiel, große Vasen und Cristalìn, die sie in der vergangenen Woche bekommen hatten. Er schrieb vom Regen, vom Wind und von einem Streit zwischen den Mönchen. Dann hob er die Feder vom Blatt und dachte an die vielen anderen Dinge, die er Andrea an diesem Abend gerne geschrieben hätte. Das durfte er nicht, er hätte alles verdorben.
2
Kefalonia, Val d’Alessandria, 7. Oktober 1571
Andrea hatte gelernt, dem Wasser bei seiner unaufhörlichen Begegnung mit der Luft, dem Land und den Lebewesen zuzuhören. Er hatte das nach und nach gelernt, bei jeder Arbeitspause unter der Ruderbank, wenn er das Ohr an die Bootshaut der Galeere legte. Er hatte gehört, wie das Meer sich an entfernten Küsten brach, wie die Fische den Kiel streiften, die Anker auf Grund stießen und wieder gelichtet wurden. Und wie tausendRuder auf das Wasser schlugen, wenn die Schiffe noch nicht einmal am Horizont aufgetaucht waren.
Er erkannte die Stärke und Richtung der Winde daran, wie sie die Bäume packten, an der Takelage zerrten, die Segel spannten. Er hörte das Trippeln der Ratten in den Bilgen, das Weinen der Männer, das Flüstern, Seufzen und die Bewegungen der Körper im Schlaf, und auch wenn diese Geräusche von anderen Schiffen kamen, hörte er sie so deutlich, als hätte er sie neben sich wie seinen Gefährten auf der Ruderbank.
In dieser Nacht lauschte er, nachdem er Zwieback und Käse gegessen hatte, in seine Decke gehüllt, den Kopf auf dem Ledersack, unter der ersten Bank am Heck liegend, den Glocken zum Wachwechsel, die mal nah, mal in der Ferne läuteten. Er hörte die vierzehn Ruderer am Bug langsam und regelmäßig rudern, ein schleppender Ruderschlag, der die Brigantine Donna Velata di Seta mit wenigen Knoten antrieb und ihm gestattete, in der Nachhut auszuruhen.
Seit zwei Tagen wehte ein starker Schirokko, darum war die Flotte im Schutz von Val d’Alessandria geblieben, der großen Bucht des antiken Sami an der Ostküste der Insel Kefalonia direkt gegenüber von Ithaka. Drei Stunden nach Sonnenuntergang waren sie aus dieser Deckung herausgekommen, und das vom Ostwind aufgewühlte Meer war quer steuerbord auf die Schiffe getroffen, was das Rudern mühsam machte.
Andrea fuhr sich mit der Hand über den geschorenen Schädel und spürte die Stoppeln, die nach der notwendigen Rasur gegen Läuse wieder zu wachsen begannen. Er strich über Sofias Stofffetzen, den er am Handgelenk trug. Seine Handflächen schmerzten, sie waren wund geworden nach dem »Endlosrudern«, wie er und seine Kameraden die zweihundertfünfzig Meilen lange Strecke von Candia bis Guiscardo an der Nordspitze Kefalonias nannten, die hinter ihnen lag. Fünf Tage hatten sie ununterbrochen gerudert. Mit zwei Brigantinen, der Donna Velata und der Albero dai Frutti d’Oro , waren sie angekommen.
Der Provveditore Generale von Candia, Messer Marino Cavalli, hatte die beiden Brigantinen hierhergeschickt, damit sie zu der gewaltigen Flotte einer noch nie dagewesenen, rein christlichen Allianz aus Spanien, Venedig, Florenz und dem Heiligen Stuhl stießen. Es waren Schiffe und Mannschaften aus Genua und der Toskana, aus den Vizekönigreichen Neapel und Sizilien, aber auch der Herzöge von Urbino, Parma, Savoyen, Rom und des Orden von Malta. Andreas Schiff war die Nordspitze von Kefalonia zugefallen, der anderen Brigantine die Nordspitze von Zakynthos auf der Route nach Korinth. Beide überbrachten dasselbe Sendschreiben: Famagosta, das letzte venezianische Bollwerk auf Zypern, war am 5. August in die Hände der Türken gefallen, zehn Tage später war der Gouverneur Marcantonio Bragadin von Lala Mustafa Pascha bei lebendigem Leib gehäutet worden.
Nach einer langen Wartezeit hatte der Horizont über dem Meer in Richtung Santa Maura sich am 4. Oktober um die Mittagszeit in einen Wald aus näher kommenden Masten verwandelt, und einen Moment lang hatten die Mannschaften der beiden Brigantinen sich verloren geglaubt, weil sie die Schiffe für die türkische Flotte hielten. Dann hatten sie auf vielen der heranrudernden Schiffe die venezianischen Flaggen erkannt. Drei Stunden später hörte Sebastiano
Weitere Kostenlose Bücher