Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
Venier, der Admiral der Kriegsflotte, die schrecklichen Nachrichten über Zypern, und die Kommandanten Venier, Don Juan de Austria, Marcantonio Colonna und Giovanni Andrea Doria debattierten einen ganzen Abend lang, ob es richtig war, weiterzumachen. Die spanischen und venezianischen Soldaten und Matrosen aber hatten sich, der ständigen Streitereien überdrüssig, schon verbrüdert, schrien vor Wut und verlangten, in die Schlacht zu ziehen.
Andrea legte ein Ohr an die Bootshaut, spürte das starke Schlingern des Schiffs und hörte, wie zehntausend Ruder auf das Wasser schlugen. Er blickte hoch. Sie fuhren auf den abnehmenden Mond zu, fast parallel zur Milchstraße, das Sternbild Vega im Westen, Altair gleich links und die kleine Kassiopeia in vertikaler Linie. Langsam zog er den Ledersack unter seinem Kopf hervor, zog eine Schnur heraus und machte, wie jede Nacht seit siebzehn Monaten, einen kleinen Knoten hinein. Nur noch zwölf Tage, dann hatte er seine Strafe abgebüßt. Er hatte Glück gehabt. Vielleicht beschützte ihn der Himmel. Vielleicht Sofias Armband. Viele seiner Kameraden waren gestorben, durch Waffen, an Auszehrung, durch Krankheit. Den Letzten hatten sie vor zwei Wochen in einen Sack gesteckt und im tiefen Meer versenkt. Vielleicht stand alles irgendwo geschrieben, wer weiß.
Er dachte an den Prozess, an das Urteil, das ihn hierhergeführt hatte. Natürlich hatte er sich selbst verteidigt. Mit Francesco d’Angelos entscheidender Hilfe. Zur großen Enttäuschung von Andrea Dolfin hatte sich die Anklage des Mordes an der Novizin Anna Tagliapietra dank Taddeas Zeugenaussage und unermüdlicher Verteidigung in einen bloßen Verdacht verwandelt. So war der Prozess von den Zehn an die Quarantia Criminal übergeben worden, und die Anklagepunkte lauteten Meineid, Fälschung, unberechtigtes Verlassen des Wohnorts und Mithilfe bei der Flucht von Sofias Ruis aus San Servolo. Der Avogador di Comun hatte in seiner Anklageschrift fünf Jahre Verbannung auf die Insel Kreta gefordert. Andrea hatte sich in seinem Plädoyer in allen Anklagepunkten für schuldig erklärt, um dann aber, basierend auf einem Gesetz des venezianischen Senats vom 25. März 1545, ein Bittgesuch bei Gericht einzureichen, die Verbannung möge in »das Rudern in Ketten auf Galeeren« verwandelt werden und zwar für einen vom Senat festzusetzenden Zeitraum.
Wie vorauszusehen war, hatte das Bittgesuch großes Aufsehen erregt und den Avogador und die Quarantia zu einer zweitägigen Diskussion gezwungen, bevor sie es schließlich doch dem Senat vorlegten. Denn nicht genug, dass der Prozess gegen Andrea Loredan, den Sohn des Dogen, von allen verfolgt wurde,hier ging es auch um eine jener heiklen Fragen, die das protestierende Volk bis in den Palazzo Ducale treiben konnten. Die Gerichtsbarkeit der Serenissima machte zwar keine Ausnahme bei den Straftaten, bei den Strafen aber durchaus. Natürlich gab es darüber keine Gesetze, aber Empfehlungen, die die Richter bei der Urteilsverkündung unbedingt zu beachten hatten: »je nach Rang und Umständen der Person, da es unstatthaft ist, einen Adeligen zur Galeere, zum Pranger oder zur Peitsche zu verurteilen, wie bei einem Plebejer üblich.«
Schon seit seiner Studienzeit kämpfte Andrea gegen diese Diskriminierungen beim Strafmaß, und ausgerechnet dieses eine Mal gewann er. Nach langen Diskussionen hatte die Quarantia Criminal ihn zu achtzehn Monaten am Ruder verurteilt, freilich »ohne Eisen an den Füßen«, aber mit guten Aussichten, während der Verbüßung seiner Strafe zu sterben. Denn man hatte ihn auf die Flotte nach Kreta eingeschifft.
Die Tür zur Heckkabine der Donna Velata öffnete sich, und der Kapitän schlug die Glocke zum Schichtwechsel an den Rudern. Die Gruppe am Heck war an der Reihe. Andrea war zu ihrem Vormann ernannt worden, dem ersten Ruderer, der den anderen den Takt vorgab. Er umfasste den Riemen mit beiden Händen und regulierte dessen Neigung. Seine dreizehn Gefährten taten es ihm nach. Andrea begann, den Rhythmus der Schläge zu zählen. Der Mannschaftsführer gab den Einsatz mit einem Glockenschlag. Die andere Gruppe schaute schweigend zu. Andrea beugte sich vor, tauchte das Ruder ins Wasser und zog es zu sich heran. Seine Bewegung vervielfachte sich, und während der langsame Ruderschlag sich auf das Schiff übertrug, zog die Mannschaft am Bug die Ruder ein, um sich zur Ruhe zu begeben. Andrea wartete, bis der Mannschaftsführer den neuen Rhythmus guthieß. Er sah,
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