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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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Klingen. Einmal. Zweimal. Der Klang gefiel ihm nicht. Es zerbrach. Schuld war der Schirokko. Also ließ er Piero einen Kürbis bringen. Der Glasmeister schnitt eine große Scheibe heraus, schälte sie und warf sie durch die Klappe in die gelbe, blendend helle Glut. Es folgte eine Art Aufstoßen, wie das Rülpsen eines Betrunkenen, dann entwich Luft, und nach einer Stunde klang das hart gewordene Glas richtig und zerbrach nicht mehr. Dann kam die ganze Mannschaft der Arbeiter an, und um den Ofen begann das geschäftige Treiben. Piero nahm eine hohle Eisenstange, holte aus einer der Klappen des Schmelzofens einen großen Tropfen geschmolzenen Glases und reichte ihn Jacomo an seiner Arbeitsbank weiter. Der hatte wirklich etwas von einem Dirigenten mit seinen Musikern. Denn während er die Kugel aus glühender Glaspaste freihändig auf der Bank herumdrehte und sie dabei aufblies, indem er durch das Rohr pustete, sie gleichzeitig auf der bronzenen Arbeitsfläche glättete und ihr eine gleichmäßige Rundung verlieh, indem er sie in der halbkugelförmigen Vertiefung drehte, verfolgte er nebenbei die Arbeiten zweier Männer, die an der anderen Klappe des Ofens beschäftigt waren. Und auch für die übrigen drei Arbeiter hatte er Augen, eine Geste, ein Zuzwinkern genügte, schon belud der stizadòr das Glutbecken mit Holz, um den Hitzegrad stabil zu halten, und die zwei portantini ließen die fertiggestellten Stücke abkühlen, indem sie sie in den oberen, lauwarmen Teil des Ofens schoben. Bei diesem fortwährenden Spiel, bei dem sie das Glas wie Jongleure auffingen und einander weiterreichten, wanderte das ursprünglich flüssige Glas von Jacomos Blasrohr zu Pierins Eisenstange, auf der das Stück weiter gedreht wurde, so dass Jacomo dessen Form mit Pinzetten und Scheren bearbeiten und aus einem zylindrischen ein konisches Gebilde machen konnte, das sich teilte und in zwei Kelche verwandelte, oder eine Kugel in eine Richtung zu einem Hals verlängerte und daraus eine Flasche machte. War die gewünschte Form erreicht, kam Jacomo zwischen den Arbeitsbänken hervor, um erneut flüssiges Glas aus dem Ofen zu fischen, aus dessen Tropfen und Fäden, wenn sie gekräuselt, gedreht, gebogen oder verlängert wurden, Ränder und gewellte Bordüren entstanden, Beine, Füße, Henkel, Blätter und Blüten.
    Wenn er sich recht erinnerte, wurde er an diesem Tag, dem 6.   Oktober, dreiundsiebzig Jahre alt. Alvise Mocenigo, der am 11.   Mai 1570 zum Dogen gewählt worden war, hatte Jacomos Bittgesuch, seine letzten Lebensjahre an den Brennöfen der Glashütte verbringen zu dürfen, stattgegeben und aus der Gefängnishaft eine Verbannung in eines der Klöster auf Murano gemacht. Alvise Loredan wiederum, mittlerweile eines der drei Häupter der Zehn, hatte Mocenigo beraten und Jacomo auf den Weg einer eingeschränkten Freiheit geführt. Auf diese Weise konnte er ihn für das Unrecht entschädigen, dass er ihm angetan hatte. Zumindest teilweise. Und Jacomo hatte sich in dieses Schicksal gefügt. Im Grunde konnte ein alter und einsamer Mann wie er sich glücklich schätzen: Im Kloster ging es ihm gut, seinen Unterhalt zahlte die Republik Venedig, und nichts liebte er mehr als die Arbeit des Glasbläsers.
    Eines Tages dann, bei Sonnenuntergang, die Arbeiter hatten die Brennerei verlassen, raffte er sich endlich auf. Er löste den Stein aus dem Boden vor dem Muffelofen, in dem das Glas abkühlte, entfernte das bisschen Erde, das sie daraufgehäuft hatten, und da stand sie, die Inghistera, genau an der Stelle, die Lucia Vivarini ihm genannt hatte. Darin war der versiegelte Brief mit Lucrezias Testament:
    Im Namen des Ewigen Gottes. Amen. Im Jahr 1542 nach Christi Geburt, am siebten Tag des Monats Mai   …
    So begann es. Zwei dicht beschriebene Seiten Pergament. Jacomo las sie viele Male. Dann ließ er sich auf den Schemel vor seiner Arbeitsbank fallen. Ihm schwindelte. Er schloss die Augenund legte den Kopf auf die lauwarme Oberfläche. So verharrte er lange Zeit, während der Brennofen sein Flüstern und seine Wärme verbreitete. Schließlich kamen die Tränen.
    Zurück im Kloster San Mattia, aß er nicht zu Abend. Nach der Komplet legte der Cellerar den Riegel vor die Tür des Häuschens im Garten, das die Mönche ihm zugewiesen hatten, und hängte das Schloss davor. Es war der Moment, in dem alle Stimmen verstummten und den Geräuschen der Nacht Raum ließen, wie die Regel des heiligen Benedikt gebietet. Jacomo setzte sich an den Tisch neben

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