Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
»Feuer!«, rief er noch einmal.
Die Schiffsrümpfe stießen gegeneinander. Die Flanken der Schiffe streiften sich, Ruder und Dollen zerbrachen. Die Schreie der Männer vereinigten sich zu einem einzigen Gebrüll, in dem die Reihen sich aufeinander stürzten. Fast gleichzeitig flogen die Anker beider Schiffe durch die Luft und fesselten sie aneinander, indem sie sich in Körpern und Holzbauten verhakten. Alles Gelernte wurde zunichte, denn von diesem Moment an war das Überleben nur noch eine Frage von Instinkt, Kraft, Mut und sehr viel Glück.
Im selben Augenblick, als Andrea das Ruder losließ, um die Muskete aufzuheben, sauste ein Pfeil dicht an ihm vorbei, sein Kamerad wurde durchbohrt und fiel tot zu Boden. Der Kapitän, der auf der Bordwand ausgerutscht war, erhielt, während er zwischen die Schiffe fiel, einen Säbelhieb in die Seite und verschwand im Wasser. Der Rest bestand aus wirrem Drauflosschlagen, erhobenen Klingen und Ertrinkenden. Die dritte türkische Fregatte bohrte ihren Bug mitten in die Flanke der Brigantine und spaltete die Bordwand fast bis zur Wasserlinie. Als Andrea einen Bogenschützen sah, der auf ihn zielte, hob er den Schild und drückte auf den Abzug seiner Muskete. Einen Augenblick lang geschah nichts, dann ertönte der Knall, und der Mann drehte sich im Fallen um sich selbst. Zeit zum Nachladen gab es nicht. Wieder sah Andrea einen Janitscharen, der mit seiner Arkebuse auf ihn anlegte. Er warf sich zur Seite. Ein Schuss, in der Bootswand öffnete sich ein Riss. Andrea fiel auf die Planken neben seinen Kameraden, sah dessen Muskete, die glühende Zündschnur, ergriff die Waffe, drehte sich um sich selbst, und der Himmel wurde schwarz. Er hatte unwillkürlich geschossen. Der Sipahi fiel tot auf ihn. Er wälzte ihn zur Seite, zog sein Kurzschwert und hob den Schild. Zwei Atemzüge, die Zeit, die er brauchte, um die Stellungen zu erkennen, dann warf er sich mit gezückter Klinge ins Gewühl.
Das Kastell der Santa Maddalena brannte, ein fetter, beißender Rauch stieg auf, der den Kämpfenden den Atem nahm. Auf dem Mittelsteg widersetzte sich Bepo Rosso mit dem Schwert einem osmanischen Offizier mit drei Federn am weißen Turban. Beide waren müde, ihr Duell war zu einem rhythmischen Schlagabtausch aus Zustechen und Parieren geworden. Ringsumher war das Deck mit zerstückelten, reglosen Körpern übersät, und auf diesen ineinander verschlungenen Toten kämpften Türken und Venezianer Mann gegen Mann. Fausthiebe, Ohrfeigen, Nackenstöße, Bisse, Finger stießen in Augen, Haare und Hoden wurden ausgerissen. Ein Kampf der Leiber und Körpersäfte bis auf den letzten Atemzug.
Granzo oben in seinem Mastkorb hatte keine Gebete mehr,aber er hatte einen Spalt im Boden entdeckt, durch den er den Kampf beobachten konnte, von dem auch sein Leben abhing. Was er zwischen den Rauchschwaden sehen konnte, war das Gewimmel der aufeinanderprallenden Körper, ein Schauspiel, das alles Grauen verloren hatte, weil es so sonderbar und unglaublich war, dass sein Verstand es nicht begriff. Das Bild, das dem, was er sah, am nächsten kam, war das eines halbverwesten Schweineschenkels, in dem es von weißen Würmern wimmelte, die sein Freund zum Angeln benutzte. Eben in diesem Gewimmel, diesem Übereinanderkriechen, glichen sich jetzt die Kämpfenden und die Würmer. Nach dem, was er sehen und verstehen konnte, hatte es sich auch auf anderen Schiffen ausgebreitet, und die Santa Maddalena bildete nunmehr den Mittelpunkt einer großen Insel aus mindestens zehn oder fünfzehn schmalen Galeeren der Venezianer und Türken, die ein unentwirrbares Schicksalsknäuel aus Hass, Blut und Erschöpfung zusammenhielt. Ein Gebilde, über das man gut bewaffnet mühelos hätte spazieren können, wie über ein Stück Festland.
Dank seiner Position in so großer Höhe hatte Granzo nach dem Weinen und Beten auch feststellen können, dass diese schwimmende Insel, vom Mittagswind getrieben, langsam in Richtung Küste abdriftete und der Kiel ihrer Galeere, wie er an den Vibrationen des Mastes erkannte, bereits über die Steine am Meeresgrund schleifte.
Der Mast begann noch stärker zu vibrieren. Granzo versuchte, auf der anderen Seite des Korbes nach unten zu spähen und sah durch die Ritzen des Weidengeflechts einen jungen venezianischen Fante, der die vom Mastkorb herabhängende Strickleiter ergriffen hatte und mit Fußtritten einen Türken abwehrte, der ihn mit dem Messer angriff. Sich an der Strickleiter in die Höhe hangelnd
Weitere Kostenlose Bücher