Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
Galeeren von Mehmet Schirokko spuckte, doch dann war sie gerammt worden. Im Käfig auf dem Großmast kauernd, das Gesicht in den Händen, zitterte Granzo am ganzen Leib und schrie das Avemaria, damit der Himmel ihn hörte. Siebzig Fuß unter ihm erinnerte das Deck der Maddalena an den alten Schlachthof im Rialto, wo Rinder und Kälber gevierteilt wurden und der Backsteinboden sich mit Blut tränkte. Nachdem sie das Deck mit Kanonenschüssen aus nächster Nähe, unaufhörlichem Pfeilhagel ihrer Bogenschützen und dem Abwerfen von mindestens zehn Brandtöpfen leergefegt hatten, waren zwei türkische Galeeren an die Flanken von Contarinis Schiff herangefahren. Zweihundert Janitscharen, erfahrene Kämpfer mit dem Kurzschwert, waren an Bord geströmt und auf ebenso viele Venezianer gestoßen: die Fanti unter dem Kommando von Paolo Orsini, die Matrosen und die Ruderer von Marino Contarini. Das Gemetzel hatte begonnen.
Sebastiano Venier hatte seine Rüstung angelegt. Als er sah, dass die von sechs Galeeren geschützte Sultana das höllische Sperrfeuer der Galeassen Duoda und Guora durchbrochen hatte und direkt auf sie zukam, gab er Befehl, die Ruder einzuziehen, die Christen unter den Galeerensträflingen zu befreien und Piken, Schwerter und Messer an sie zu verteilen. Dann versuchte er, seine Armbrust zu laden, doch für einen Fünfundsiebzigjährigen war das ein mühsames Unterfangen. Also rief er Bernardo, den Besten seiner Sträflinge, der drei Jahre am Ruder verbüßte. Der Arsenalotto spannte die Armbrust ohne Mühen, er musste nicht einmal die Winde benutzen. Der Capitano Generale da Mar der venezianischen Flotte befahl Bernardo, neben ihm auf dem Achterdeck zu bleiben, eine Kiste mit Pfeilen stand griffbereit, um zwei weitere Armbruste zu laden.
In der Bugmannschaft der General de Venetia konnte sich Angelo Riccio unterdessen endlich am Fußgelenk kratzen, nachdem der Kettenring abgenommen war. Seit seinem letztenFluchtversuch hatte er das nicht mehr gekonnt. Zwei Gruppen Matrosen gingen über den Steg und verteilten Waffen an die Galeerensträflinge. Riccio hatte plötzlich ein blitzendes Schwert mit eiserner Klinge in der Hand.
In diesem Moment eröffnete die Stegkanone das Feuer und wurde vom Rückstoß fast bis zum Fockmast zurückgeworfen. Alles verschwand im dichten, weißen Rauch.
Bepo Rosso schwor sich, dass er am Leben bleiben würde. Den Schwur tat er, als der Befehl des Marqués de Santa Cruz kam, dass die Sole sich im Verein mit der Santa Maddalena , der Santa Caterina und der Nostra Dama von der Reserve trennen und so schnell wie möglich zur Mündung des Acheloos rudern sollte, um Agostino Barbarigos Patrona di Venezia zu Hilfe zu kommen. Bis zum letzten Moment hatte Rosso gehofft, dass die Sole in der mittleren Schlachtreihe genau zwischen den Schiffen von Venier, Don Juan und Colonna bleiben würde. Denn eines hatte er sofort erkannt: Die Sultana von Müezzinzade Ali steuerte direkt auf die Real von Don Juan zu, und wenn sie aufeinandertrafen, würden sich alle Schiffe im mittleren Geschwader so ineinander verkeilen, dass sie eine Insel bildeten, über die er bis zur Sultana gelangen konnte. Dort wollte er seinen Sohn Giorgio befreien oder ihn wenigstens beschützen, ihm das Leben retten oder sich sogar selbst von den Türken gefangen nehmen lassen, um das Schicksal seines Sohnes zu teilen. Auch darum hatte er das Buch mitgenommen, diesen Timaios . Wenn der Türke schon einmal bereit gewesen war, das Leben seines Sohnes gegen dieses winzige Buch einzutauschen, warum sollte er es nicht immer noch sein? Und wenn das mit dem Buch nicht klappte, überlegte er, gab es immer noch ihn selbst, den Werkmeister des Arsenale, als ausgezeichnetes Lösegeld.
Jetzt aber, wo sie sich mindestens anderthalb Meilen vom Zentrum der Schlachtreihe entfernten, wurde alles viel schwieriger. Nachdem die Galeassen des rechten Flügels unter Giovanni Andrea Doria das Feuer eröffnet hatten, gut zwanzig Galeeren lichterloh brannten und der Rest der christlichen und türkischen Artillerie damit beschäftigt war, sich gegenseitig zu versenken, wurde das Meer in Rauch gehüllt, dicht wie die ärgsten Lagunennebel. Bepo Rosso stand auf der Rambate an der Geschützpforte, das Visier seines Helms war geschlossen, die Brust mit Kettenhemd und Panzer geschützt, er trug Leinenschuhe, um auf den eingefetteten Deckplanken Halt zu finden, und hielt zwei geladene Arkebusen mit kurzem Lauf in den Händen. Sein Blick ging in Richtung
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