Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
reichte.
Jacomo nahm den Wasserkrug, wog ihn in den Händen. »Natürlich kann ich das«, antwortete er, und ein neues Licht leuchtete in seinen Augen.
Loredana hakte den Maestro unter und zog ihn mit sich zum Brennofen. »Da ist noch etwas.« Sie holte ein sorgfältig gefaltetes kleines Blatt Papier aus dem Ärmel. »Aber Ihr müsst mir versprechen, dass Ihr mir keine Fragen dazu stellen werdet und jeden Gedanken, der Euch bei dem kommt, was ich Euch jetzt zeigen werde, unter allen Umständen für Euch behaltet.«
Stille trat ein, nur das dumpfe Brummen des Feuers und das Pfeifen des Windes zwischen den Dachbalken war zu hören.
»Ich verspreche es Euch beim Liebsten, das mir geblieben ist.«
Loredana reichte ihm das Papier. »Lest.«
In der Mitte stand geschrieben: In Hoc Signo Vinces .
»Dieses Gotteswort sollt Ihr auf jedes Schiff gravieren.«
Gedämpft, wie ein Hintergrundgeräusch zu seinen wirbelnden Gedanken waren ihre Worte bei Jacomo angekommen, doch dann verbanden sie sich und wurden klar. Im selben Augenblick verstand er. Er hob die Augen zu Loredana. Sie schien kurz davor, zu lächeln, zu jubeln, ihn glücklich zu umarmen.
»Ja, Maestro«, sagte sie nur. »Es ist so, wie Ihr denkt.«
18
Sechshundert Meilen in neun Tagen. Eine gerade Linie mitten durch die Adria, neun Sonnenuntergänge über dem italienischen Festland. Als am neunten Morgen die Umrisse des Lido in Sicht kamen, brach an Bord der Angelo Gabriele ein fröhliches Durcheinander aus, eine große Maskerade mit Turbanen, Krummsäbeln, Piken, Standarten mit aufgesticktem Halbmond, und kein einziger Ruderer bewegte sich noch im Takt, kein Matrose achtete auf die Manöver, so dass Onfré Giustinian in die Luft schießen musste, um die Gemüter wieder zu beruhigen, Ordnung zu schaffen und seine Befehle durchzusetzen.
Drei Stunden später wurden sie mit Schreien und Jubelrufen von der Mannschaft der Galeasse begrüßt, die zum Schutz vor der Laguneneinfahrt der Due Castelli lag. Die große Kette, die die Durchfahrt zwischen den Festungen Sant’Andrea und San Nicolò versperrte, wurde lärmend eingezogen. Auf den Festungen und dem Schiff wurden Salven aus den Kolubrinen abgeschossen. Sechs Fregatten, auf denen die Rufe »Sieg! Sieg!« und »Viva San Marco!« ertönten, reihten sich als Geleit der Kriegsgaleere auf, um ein wenig vom Abglanz des Ruhms zu erhaschen, dem sie entgegenfuhr. Der Hafenlotse, der an Bord gekommen war, um sie durch die jüngst geschaffenen Fahrrinnen zwischen der Laguneneinfahrt und dem Arsenale zu geleiten, wagte es aus Respekt nicht, Giustinian das Steuerruder abzunehmen, er weinte und lachte vor Aufregung und rief immer wieder fassungslos: »Heilige Jungfrau Maria, wir haben gewonnen, wir haben gewonnen!«
Andrea verließ das Hospital, wie der mit Verwundeten gefüllte Kielraum getauft worden war, als Doktor Dalessi Weihrauch in den Kohlebecken entzünden und mit dem letzten Fass Wein, der zu Essig geworden war, die Bootswände befeuchten ließ. Über diese Essenzen legte sich der Gestank nach faulendem Fleisch, eiternden Wunden, Urin und Fäkalien, so dass man kaum noch atmen konnte. Sonst wäre Andrea niemals aus dieser schützenden Höhle hervorgekommen. Er hatte Verständnis für die Freude ringsum, aber er konnte nicht jubeln. Giustinian hatte der Mannschaft mittschiffs befohlen, die Ruder einzuziehen, über die Bänke und Gänge waren Bretter gelegt worden, und so war um den Großmast herum ein breites, einladendes Deck entstanden. Dort stand Andrea, die Steuerbordwanten umklammernd, um sich gegen das Schlingern der Galeere auf den letzten Meereswellen, die in der Lagune verebbten, abzustützen. Als sie die Festung Sant’Andrea passiert hatten, erschien zwei Strich steuerbord am Bug, auf dem Wasser schwebend, vom Himmel beschützt, Venedig. Ein Schrei ertönte. Einige brachen in Tränen aus. Andere knieten nieder und wieder andere schossen Salven in die Luft.
Andrea sah San Servolo wieder, die Kirche Sant’Antonio an der Spitze von Castello und dahinter San Giorgio. Er sah den Campanile von San Marco, doch er spürte, wie seine Ergriffenheit ihm fremd wurde und verflog. Die Galeere fuhr dicht am Kloster der Kartäuserpatres vorbei, und als die Mönche, die auf den Kirchplatz geströmt waren, die Siegesschreie hörten, hängten sie sich an die Glockenseile. Kurz darauf antworteteSant’Elena, und am Eingang des Canale San Marco war die Luft schon vom Geläut Hunderter Glocken erfüllt. Die Riva degli
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