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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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und der Apsis des Markusdoms vor kalten Winden geschützte Terrasse war von Loredana, der Expertin für Botanik, in eine Art Paradiesgarten verwandelt worden.
    Wie an jedem Morgen, seit Alvise gewählt und der Palazzo zur Residenz der Mocenigos geworden war, arbeitete Loredana in der Ecke mit seltenen, sonderbaren Pflanzen, die ihr Mann aus der Neuen Welt hatte kommen lassen. Alvise beobachtete sie, während sie Keime in einem kleinen Glashaus versetzte, das die zarten Pflänzchen vor der ersten Kälte schützte, wie sie in Padua von ihrem Lehrer für Botanik Melchiorre Guilandino gelernt hatte.
    Plötzlich erschien eine Taube über der Terrasse und ließ sich nach einigen eleganten Kreisen in der Luft zielsicher auf der Brüstung nieder. Erst tippelte sie vor und zurück, den Kopf nach rechts und links drehend, als wollte sie sich vergewissern, dass dies ihr Zielort war, dann erhob sie sich wieder und flog zum Taubenschlag. Alvise spürte, wie Hitze in seiner Brust aufstieg, und diese innere Regung war so stark, dass Messer Jacopo Tintoretto sie wahrnahm, den Pinsel hob und abwartete. Der Doge schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, sah er, dass die Taube sich unruhig am Eingang des Taubenschlags drehte.
    »Bitte entschuldigt mich.«
    Der Maler zog sich mit einer Verbeugung von der Staffelei zurück.
    Alvise stieß sich mit beiden Armen vom Stuhl ab und stand auf. Er stieg die zwei Stufen des Podests herab, ging mit langsamen Schritten, wie unentschlossen, zu einer der Glastüren, öffnete sie und trat auf die Terrasse. Loredana hörte ihn und drehte sich um. Ihre Miene war besorgt.
    »Eine Botschaft«, sagte er nur.
    Alvise nahm einen Rispen Hirse und bot ihn der Taube an.Rasch packte er den Vogel, während Loredana mit einer Schere das an seinem Bein befestigte Röhrchen abschnitt. Alvise ließ die Taube frei, die gurrend nach der Hirse pickte.
    »Was hier geschrieben steht, geliebte Gattin, bleibt in unseren Augen und Herzen verborgen.«
    »So wird es sein.«
    Loredanas Hände zitterten, als sie mit dem Daumennagel den Siegellack aufbrach, der das Röhrchen verschloss. Sie zog ein winziges, zusammengerolltes Papier heraus. Zögernd sah sie ihren Mann an.
    »Bitte lies.«
    Loredana rollte das Papier auf. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie es Alvise reichte. Er las, verharrte einen Augenblick stumm. Dann nahm er die Hand seiner Frau, führte sie an seine Lippen und küsste sie. Dabei gab er ihr das Billett zurück.
    »Unsere Hoffnung hat sich erfüllt.«
    Er ging zurück, stieg die zwei Stufen hinauf, setzte sich und blickte wieder starr zum erlauchten Jacopo Tintoretto. »Bitte fahrt fort«, sagte er, seine Positur einnehmend.

16
    Er atmete kaum. Um ihn an Bord zu hieven, hatten sie das Beiboot ins Wasser gesenkt. Mittschiffs war der Kielraum der Galeere von Onfré Giustinian voller Verletzter, die meisten mit schweren Brandwunden. Der Priester hatte schon viele Letzte Ölungen gespendet, Leinensäcke und Steine für Seebestattungen gab es nicht mehr. Der Arzt arbeitete seit vierundzwanzig Stunden, er war zu Tode erschöpft. Als es kein Verbandsmaterial mehr gab, hatte er ein altes Segel in Streifen reißen, abkochen und in Öl tauchen lassen. Das legte er den Brandverletzten auf die Wunden. Den Schreien und dem Gestank hatte er sich ergeben. Nach allem, was er gesehen hatte, konnte ersie nun, da man Kurs auf die Heimat genommen hatte, leichter ertragen.
    Andrea war im Kielraum dicht neben die Verankerung des Großmasts gelegt worden. Sie hatten das Strohlager eines soeben Verstorbenen umgedreht und ihn darauf gebettet, zwischen einem Mann mit Brandwunden, dessen Gesicht und Oberkörper verbunden waren, und einem anderen ohne Bein. Mit Hilfe von zwei Matrosen zog Dottor Hieronimo Dalessi ihn aus, nahm ihm die Lederriemen und das eigenartige Metallkästchen ab, das er auf dem Rücken trug, und untersuchte ihn auf schwere Verletzungen. Es waren nur Messerstiche, Blutergüsse, bereits verheilte oder genähte Wunden. An seinen schwieligen Händen erkannte er, dass es sich um einen Ruderer handelte. Er ließ ihn in eine Decke hüllen.
    Dann konzentrierte er sich auf den Behälter. Erst zögerte er, ihn zu öffnen. Er überlegte, dass es eine Nachricht sein konnte. Wichtig genug, um sie am Körper zu tragen wie ein Kruzifix. Er öffnete den Deckel und erblickte ein winziges Buch. Wunderbarerweise unbeschädigt, trocken. Ein auf Griechisch geschriebenes Buch. Er hatte Hippokrates und Galen studiert, er

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