Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
zu trinken. Später werdet Ihr gepökeltes Fleisch, Oliven und Schiffszwieback bekommen, nicht wahr, Messer Onfré?« Giustinian lächelte, und während das Ehrenkomitee wieder auf Deck zurückkehrte, verabschiedete Dalessi sich von Andrea mit dem Versprechen, bald wiederzukommen.
Erschöpft legte Andrea den Kopf auf das Strohlager, während die Atemzüge, das Keuchen und Stöhnen der Männer wieder wie eine Flut anstiegen, um jeden Winkel zu erfüllen, jedes Stück Holz zu durchtränken.
»Platon habe ich sehr gerne gelesen …«
Die Stimme war ein leises Flüstern, doch laut genug, damit Andrea sich zu dem Mann mit dem verbundenen Gesicht umdrehte. Der bewegte die Hand in der Luft, er suchte Kontakt mit Andrea wie ein Blinder. Er war blind.
»Dieses Höllenfeuer hat mir das genommen, was Platon unser größtes Gut nennt«, fügte er hinzu.
Andrea nahm seine Hand, drückte sie und empfand großes Mitleid mit dem armen Mann.
»Ich heiße Matteo Riato, es ist mir eine Ehre, Eure Bekanntschaft zu machen, Messere«, keuchte er.
Andrea spürte die Schwielen in seiner Handfläche, die vom Rudern stammten.
»Ihr wart auch am Ruder.«
»Es sind schon drei Jahre.«
»Was habt Ihr getan?«
»Ich war Hauslehrer bei einem vornehmen Mann. Wegen eines Diebstahls haben sie mir vier Jahre gegeben. Aber ich bin unschuldig. Und Ihr? Die Ruderstrafe ist nicht üblich bei Adeligen.«
»Ich bin geständiger Täter. Das Ruder habe ich selbst verlangt.«
Sie schwiegen.
»Platon wird uns auf dieser Reise Gesellschaft leisten. Lest Ihr?«
»Das werde ich tun, wenn Ihr möchtet«, antwortete Andrea.
17
Es war ein windiger Nachmittag. Jacomo stand in der Glashütte und formte das flüssige Glas, da loderten aus den drei Mündern des Brennofens plötzlich Flammenzungen auf. Das passierte immer, wenn eine Tür geöffnet wurde.
»Wer ist da?«, rief Jacomo ärgerlich. »Geh nachschauen!«, befahl er Pierin.
Der Lehrjunge hatte noch keinen Schritt getan, als am hinteren Ende des Raumes zwei bewaffnete Männer erschienen, denen zwei Frauen folgten. Jacomo erkannte die eine, und seine Sorge verflog. Dass sein Leben wieder in angenehmen Bahnen verlief, verdankte er nicht zuletzt ihr. Die Dogaressa Loredana Marcello kam lächelnd näher, begleitet von einer Hofdame, dem Hauptmann der Dogenwache Zaccaria und einem Knappen. Jacomo ging ihr entgegen.
»Vostra Serenità!« Er verbeugte sich.
»Wie geht es Euch, Maestro?«, fragte sie in liebenswürdigem Ton.
Jacomo hatte sich noch immer nicht an ihre unerwarteten Besuche gewöhnen können. Er wusste von Ottobon, dass Loredana sich nach dem Tod des Schriftstellers Alfonso de Ulloa im Juni vergangenen Jahres beim Dogen für ihn verwendet hatte, um einen weiteren tragischen Todesfall zu verhindern. Dann waren sie Freunde geworden, und kein Monat verging, ohne dass sie ihn besuchte. Loredana, eine gebildete und wissbegierige Frau, versuchte die Kunst der Glasbearbeitung und ihre Geheimnisse zwischen Alchemie, Chemie und Philosophie zu verstehen.
Doch jetzt war sie gekommen, um sich unter Tellern, Kelchen, Pokalen, Krügen, Trinkgläsern, Gläsern aus Cristalìn, Flaschen und Inghistere die schönsten Stücke auszusuchen, die sie verschenken wollte. Nachdem Loredana Glas für fünfhundert Dukaten bestellt hatte, ließ sie sich von ihrer Hofdame einen Korb reichen. Langsam wickelte sie den darin liegenden Gegenstand aus seiner schützenden Umhüllung roter Samttücher. Zuerst sah man eine winzige Hecklaterne, dann das Kastell mit den Decks, den Rahmen des Ruderdecks, die Masten mit den Segeln, schließlich das ganze Schiff bis zum Bug, dessen Rammsporn in Gestalt eines Drachens als Tülle diente, aus der das Wasser gegossen wurde.
Jacomo starrte reglos auf die kleine Galeere aus geblasenem Glas, die mit blauen, grünen und rosa Glasfäden verziert war.
»Bitte, Fürstin, darf ich erfahren, wie Ihr in den Besitz dieses Wasserkrugs gekommen seid?«, fragte er verwundert.
»Mein Vater hat ihn mir geschenkt. Er kaufte ihn auf dem Markt während der Festa della Sensa, als ich noch ein kleines Mädchen war.« Sie zeigte auf den Rammsporn in Form eines Drachens. »Ihr habt ihn gemacht, nicht wahr?«
Der Glasmeister zögerte und begnügte sich mit einem Kopfnicken, weil die Rührung ihm die Kehle zuschnürte.
»Sagt mir, könntet Ihr außer den Gläsern, die ich bei Euch bestellt habe, auch zwanzig solcher Galeeren herstellen?«, fragte die Dogaressa, indem sie ihm das kostbare Stück
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