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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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der Höhe des Wasserspiegels, hinter dem sich ein Vorraum mit sieben Stufen bis zur Eingangstür auftat. Durch sie gelangte man auf der Küchenseite direkt in die Locanda.
    Die Explosion des Arsenale hatte den hinteren Teil der Locanda unversehrt gelassen, also war der Betrieb in die Räume auf dieser Seite umgezogen. Auf der anderen hatte man ein Gerüst errichtet, und die Instandsetzungsarbeiten am Dach und an der Fassade hatten begonnen. Andrea, der berühmteste Gast, demder Wirt auch sein eigenes Bett angeboten hätte, nur um ihn nicht zu verlieren, war in das beste Zimmer im Erdgeschoss verlegt worden, mit einem Fenster zum Garten, der im Sommer von Mittag bis Abend Sonne bekam.
    Andrea ließ Rudergabeln und Ruder im Vorraum und öffnete die massive Eichentür. Der Geruch gebratener Zwiebeln schlug ihm entgegen, so einlullend und dicht wie das Stimmengewirr der Gäste im Speiseraum, den man im Hintergrund des Korridors erblickte. Ununterbrochen quoll Rauch unter dem kleinen Bogen hervor, der in die Küche führte, breitete sich im Korridor aus, schwebte zur Decke und erfüllte das ganze Erdgeschoss. Lorenzo und seine Familie waren vollauf beschäftigt: Er servierte an den Tischen, kümmerte sich um den Wein und die Bezahlung; Graziosa, die fünfzehnjährige Tochter, half ihm, bis es zur zweiten Nachtstunde schlug, dann ging sie ins Bett. Am Herd arbeitete Maria mit einer Cousine, die früher Köchin im Ospedaletto gewesen war. Im Grunde war die Explosion ein Segen für die Locanda, denn jeden Abend füllte sie sich mit Arbeitern von der Terraferma, die wegen des Wiederaufbaus in die Stadt geströmt waren.
    Als Lorenzo, beladen mit Schüsseln, aus der Küche kam, sah er Andrea und ging auf ihn zu.
    »Ich habe mir Sorgen um Euch gemacht«, sagte er bekümmert wie ein Freund. »Ihr dürftet nach Sonnenuntergang nicht mehr durch die Kanäle fahren.« Er schien aufrichtig zu sein.
    »Ihr habt recht«, erwiderte Andrea darum höflich. »Ich werde aufpassen. Ich wünsche Euch eine gute Nacht, Paròn Lorenzo«, und damit ging er auf den Korridor zu, der zu den Gästezimmern führte.
    »Ser Loredan, einen Moment noch!«
    Andrea wandte sich zu dem Wirt um.
    »Dort hinten sitzt eine Person, die schon lange auf Euch wartet«, sagte der Mann mit einem zweideutigen Augenzwinkern. »Eine schöne Frau«, beeilte er sich zu präzisieren.
    Andrea gab es einen Stich ins Herz. Ob es Taddea war? »Hat sie ihren Namen genannt?«, fragte er, von einer irrationalen Hoffnung gepackt.
    »Sie hat mir nur gesagt, es sei dringend.«

14
    Die Frau war nicht Taddea. Mit kummervoller Miene saß sie auf dem Rand einer Bank neben einer Waage und zwei Säcken Mehl, versunken in eine Schwermut, deren Ursache wohl ein Trauerfall war, wie ein schwarzes Kleid vermuten ließ. Als sie seine Gegenwart bemerkte, erhob sie sich.
    »Eccellenza«, sagte sie leise mit gesenktem Kopf.
    Andrea ging auf sie zu. »Signora, ich bitte Euch.« Er lächelte sie an.
    Die Unbekannte hob den Kopf, und sofort bemerkte Andrea ihre Schönheit, die der Kummer nicht hatte beeinträchtigen können. Die Augen vor allem, groß, von orientalischem Schnitt, mit blauer Iris, die nach innen in ein Graublau mit gelben Punkten überging. Glänzende Augen wie dunkle Weintrauben, vom Schmerz gezeichnet. Dann die feingeschwungenen, vollen Lippen, die gerade und wohlproportionierte Nase. Sie mochte kaum älter als dreißig sein. Trotz des traurigen Ausdrucks bewahrte sie eine stolze Haltung, einen lebhaften Blick, und ihre ungebändigt über die Schultern fallenden rotblonden Haare ließen ein kühnes Temperament erahnen. Eine Frau, die bereit war zu kämpfen.
    »Verzeiht, dass ich Euch belästige.«
    »Ihr belästigt mich durchaus nicht. Wer seid Ihr?«
    »Ich heiße Sofia, Sofia Ruis, Eccellenza, ich wohne in den alten Häusern der Albaner hinter der Bragola-Kirche«, sagte sie, die Tränen zurückhaltend.
    »Was kann ich für Euch tun?«
    »Gerechtigkeit, ich will nur Gerechtigkeit«, sagte sie in einem Atemzug.
    Andrea blickte sie an, betroffen über diese so verzweifelt ausgesprochenen Worte.
    »Ich bin die Mutter von Tonino, dem Jungen, der in der Celestia ermordet wurde.« Die Worte schienen wie Feuer zu brennen.
    Unfähig zu einer Antwort, widerstand Andrea dem Impuls, ihr eine tröstende Hand auf die Schulter zu legen.
    »Signora   … mein aufrichtiges Beileid«, war das Erste, was ihm in den Sinn kam. »Ich war dort, als es geschah.« Er zögerte unbeholfen, als hätte er

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