Die Feuer von Troia
habe SIE nicht um Schutz gebeten. SIE kommt und geht nach Belieben. Ich habe nichts mit IHREM Streit mit Apollon zu tun.«
»Ich rufe Apollon zum Zeugen an… «, begann Khryse heftig. Kassandra unterbrach ihn entschlossen. »Und was willst du tun, du Gotteslästerer, wenn ER kommen sollte?«
Khryse erwiderte überheblich: »ER wird ganz bestimmt nicht kommen. Ich habe Kassandra aufgesucht. Das stimmt! Ich diene dem Gott ebenso, wie sie behauptet, es zu tun… «
»Hüte dich«, ermahnte ihn Charis, aber Khryse lachte nur. »Darauf lasse ich es ankommen!«
Charis sagte: »Wir schulden Kassandra Schutz. Die Jungfrauen des Tempels gehören dem Gott und dürfen nicht von einem Mann mißbraucht werden, schon gar nicht mit einer solchen List - sei er nun Priester oder auch nicht.«
Im Saal hörte man zustimmendes Gemurmel. Kassandra war Charis dankbar, daß sie zu ihrer Verteidigung sprach.
»Ich möchte dir eine Frage stellen«, sagte der Oberpriester, »komm zu mir, Tochter des Priamos. Man hat gehört, daß du gesagt hast, du würdest dich Khryse nicht hingeben, auch wenn Apollon sich seiner bemächtigen würde. Hast du das im Ernst gesagt oder war das im Zorn gesprochen?«
»Der Gott ist nicht zu mir gekommen, und deshalb habe ich nur einen Mann abgewiesen, der mich im Namen von Apollon vergewaltigen wollte.«
Ein blendendes Licht erfüllte plötzlich den Raum. Kassandra hob den Kopf und sah das Strahlen dort, wo Khryse gestanden hatte. Die tiefe, vertraute Stimme hallte durch das Heiligtum.
Kassandra …
Es gab keine Zweifel: Das war die Stimme des Gottes. Kassandra spürte, wie ihr die Knie weich wurden, und sank zu Boden. Sie wagte nicht, den Kopf zu heben oder zu sprechen.
MEIN Diener hat nicht geglaubt, ICH könnte mich seiner bedienen. Jetzt weiß er es besser. Es wird nicht lange dauern, und er wird MEINE Macht kennenlernen. Überlasse ihn MIR! Er wird MEINER Gerechtigkeit nicht entgehen.
Das blendende Licht richtete sich auf Kassandra. Sie zitterte und senkte den Kopf.
Du, Kassandra, höre MEINE Worte! ICH habe dich geliebt. Du aber hast dich MEINER alten Feindin anvertraut, obwohl ICH dich zu MIR gerufen habe und du MEIN bist. Ich gebe dich nicht frei. Doch du hast dich gegen MICH vergangen. Ich entziehe dir MEIN göttliches Geschenk, die Sehergabe.
In der Stimme des Gottes lag große Trauer. Die kniende Kassandra spürte, wie eine heftige Woge von Widerspruch und Groll in ihr aufstieg.
»Wenn DU es doch nur könntest, Sonnengott«, sagte sie laut. » Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als von diesem Geschenk befreit zu werden, das ich nicht wollte!«
Sie schwankte wie unter heftigen Windstößen. Ihr Körper wurde zu einem Schlachtfeld. Die Augen brannten. Die dunkle, stürmische Flut der Göttin brandete gegen die sengende Hitze von Apollons Zorn.
Auch du wirst MEINE Macht kennenlernen!
Die Erscheinung verschwand schlagartig. Die kämpfenden Unsterblichen gaben Kassandra frei, und sie sank zu Boden. Unbestimmt nahm sie wahr, daß Charis sich hinunterbeugte, um sie aufzuheben. Sie schien unter der Decke zu schweben und sah Khryse fallen. Sein Körper wand sich in Zuckungen. Seine Fersen hämmerten auf den Boden, und seine Zähne klapperten. Blutiger Schaum trat ihm auf die Lippen, und ein schauriger, langgezogener Schrei entrang sich seiner Kehle.
Das geschieht ihm recht, dachte sie, denn er glaubte, er könne mit Apollons Stimme sprechen, um eine SEINER Priesterinnen zu täuschen …
Wie das Echo von Apollons Stimme hörte sie die Worte:
In den Tagen, die kommen, wird sogar er von Nutzen für MICH sein … Sie erbebte vor Kälte und spürte, wie die dunkle Flut sich zurückzog. Ihr Bewußtsein kehrte zurück, als tauche sie aus großer Tiefe wieder an die Oberfläche. Sie konnte nicht sprechen. Die Priester hatten sich Khryses angenommen. Charis hielt Kassandras Kopf noch immer im Schoß.
Die alte Priesterin wiegte sie sanft und flüsterte: »Weine nicht. Auch wenn Apollons Zorn schrecklich ist, wird es gut für dich sein, daß der Fluch der Sehergabe von dir genommen ist.«
Könnte ich ihr doch sagen, daß ich nicht über den Verlust der Sehergabe weine und auch nicht Apollons Zorn fürchte. Ich weine, weil ich SEINE Liebe verloren habe. Ich wollte nicht zum Kampfplatz der Unsterblichen werden.
4
Die Priesterschaft erteilte Khryse zwar einen Verweis, aber dadurch änderte sich nichts, wie Kassandra gehofft hatte. Die glückliche Zeit schien für immer vorbei zu sein.
Nicht
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