Die Feuer von Troia
Götter geschaffen haben. lch werde dich nicht heiraten, auch wenn die einzige andere Möglichkeit wäre, mein Leben lang Jungfrau zu bleiben oder einen blinden Bettler vom Marktplatz zu heiraten oder selbst einen - einen Achaier, würde ich das vorziehen.«
Khryse ließ sie los. Sein Gesicht war so weiß wie die Marmorwände des Heiligtums, und er stieß zwischen den Zähnen hervor: »Eines Tages wirst du das bereuen, Kassandra. Vielleicht bin ich nicht immer ein machtloser Priester. «
Er wirkte müde; sie fragte sich plötzlich, ob er möglicherweise schon so früh am Tag ungemischten Wein getrunken hatte. Aber der Wein, der auf den Tisch der Priester kam, war stets mit viel Wasser verdünnt, und Khryses Gesicht war auch nicht gerötet, wie es der Fall gewesen wäre, wenn er getrunken hätte. Auch sein Atem roch nicht nach Wein, aber an seinem Gewand schien ein merkwürdiger Geruch zu hängen. Kassandra konnte nicht sagen, wonach es roch - vermutlich hatten ihm die Heilpriester einen Trank gegen seine Anfälle gegeben.
Sie wollte gehen, aber er packte sie bei der Hand, zog sie zurück und schob sie an die Wand. Sein Körper drückte sich fest gegen ihren. Mit der einen Hand umklammerte er mit aller Kraft Kassandras Hände, mit der anderen versuchte er, ihr das Gewand hochzuzerren, und sein Mund preßte sich auf ihre Lippen.
»Du machst mich verrückt«, keuchte er, »und man kann niemandem einen Vorwurf machen, wenn er eine Frau bestraft, die ihn zur Raserei getrieben hat.«
Kassandra wehrte sich heftig und wollte schreien, biß ihm aber schließlich nur in die Lippe. Er fuhr zurück, sie stieß ihn mit beiden Händen von sich, so daß er stolperte und fiel. Kassandra wankte, denn er hielt sie immer noch fest; aber sie riß sich zornbebend von ihm los. Er versuchte, sich aufzurichten, aber sie trat ihm gegen die Rippen, und er fiel wieder hin. Dann rannte sie aus dem Heiligtum und hörte erst auf zu rennen, als sie sicher in ihrem Zimmer war.
5
Kassandra erwachte aus einem Traum von einer Feuersbrunst, die den Hügel von Troia hinaufjagte und sich schnell dem Palast näherte. Überall war Rauch; in den Hallen des Tempels hörte sie aufgeregte Stimmen. Es war die dunkelste Zeit der Nacht, wenn der Mond untergegangen ist, und die Sterne erlöschen. Kassandra sah draußen brennende Fackeln. Sie griff nach einem Mantel, zog ihn über die kurze Tunika, in der sie schlief, und rannte in den Hof hinaus.
Weit unten im Hafen entdeckte sie die schwachen Lichter von Schiffen und Fackeln, die, vermutlich von Menschenhänden getragen, den Hügel heraufkamen.
Sie konnte nur noch denken: Es ist soweit! Gequält und verzweifelt schrie sie auf. Dann hörte sie, daß Alarm geschlagen wurde: Die große Holzrassel auf dem Wachturm hallte durch die Nacht. Das bedeutete, daß Frauen, Kinder und die Alten Schutz im Palast suchen und die Soldaten sich sofort sammeln mußten. Kassandra beobachtete, wie die Lichter sich durch die Stadt unter ihr bewegten; sie hörte das Klirren von Waffen und schließlich die lauten Stimmen von Hauptleuten, die den Soldaten ihre Plätze zuwiesen.
Jemand zupfte sie am Ärmel, und sie sah, daß Chryseis neben ihr stand.
»Was ist los, Kassandra?«
»Es sind die Achaier. Sie sind gekommen, wie wir vorausgesehen haben«, antwortete Kassandra und staunte über ihre Ruhe. »Wir müssen Schutz im Palast suchen. Schnell, Kleines.« Sie nahm Chryseis bei der Hand, führte sie hinein, zog ihr eilig eine dicke Tunika gegen die Nachtkühle an, warf ihr einen Mantel über und band ihr die Sandalen. Sobald Chryseis angezogen war, gingen sie in den Hof hinaus. Die Frauen scharten sich um Charis, die ihnen befahl, zum großen Turm hinunterzugehen.
Kassandra hielt Chryseis fest bei der Hand, als sie eilig die steile Straße hinunterlief. Es kam ihr falsch vor, den Fackeln und dem Geklirr der Waffen entgegenzugehen; die Achaier würden sicher niemals so hoch heraufkommen. Was sie suchten, befand sich im Palast, nicht hier oben im Tempel. Jetzt hörte sie die Schlachtrufe der Krieger, die ihr einen Schauer über den Rücken jagten, und Hektors Befehle, der seine Männer um sich sammelte.
Die anderen Frauen drängten sich um Kassandra, als die Gruppe das Palasttor erreichte. Die Wachen und Soldaten riefen ihnen zu, sie sollten sich beeilen hineinzukommen, und griffen dann nach den Speeren, die in einem großen Gestell am Eingang der Rüstkammer steckten.
Kassandra dachte daran, sich auch einen Speer zu
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