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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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nehmen und mit den Männern zu kämpfen. Aber das hätte Hektor wütend gemacht.
    Vielleicht kommt die Zeit, wenn er meine Fähigkeiten nicht mehr verachtet.
    Sie beschloß, bei den Frauen zu bleiben. Es war ein wirrer Haufen, die meisten waren nur spärlich bekleidet, als habe man sie aus dem Schlaf gerissen. Manche hatten sich nicht die Mühe gemacht, etwas anzuziehen, oder hatten sich wie ihre Kinder nur in eine Decke gehüllt. Die Kleinen weinten und jammerten auf den Armen ihrer Mütter und Ammen. Kassandra und die anderen Priesterinnen aus dem Tempel waren beinahe die einzigen, die ordentlich gekleidet waren oder die Fassung bewahrten. Die meisten Frauen hatten tränenverschmierte Gesichter, weinten, jammerten und schrien laut um Hilfe oder nach einer Erklärung für all das Bedrohliche.
    Helena stand ruhig inmitten der aufgeregten Frauen. Jede Haarlocke befand sich an ihrem Platz. Sie schien geradewegs von ihrer Badefrau zu kommen. An der Hand hielt sie einen fünf- oder sechsjährigen Jungen. Er war ordentlich gekleidet, und seine Haare waren gebürstet, das Gesicht war gewaschen; er weinte nicht, aber er umklammerte ihre Hand so fest, daß seine Fingerknöchel weiß hervortraten.
    Helena sah sich gelassen um. Ihr Blick fiel auf Kassandra. Sie bahnte sich ruhig einen Weg durch die Menge der klagenden, jammernden Frauen und kam zu ihr.
    »Ich erinnere mich an dich«, sagte sie, »du bist die Zwillingsschwester meines Gemahls. Es tut gut, jemanden zu sehen, der nicht vor Angst verrückt zu werden scheint. Warum weinst und schreist du nicht wie alle anderen?«
    »Ich weiß nicht«, erwiderte Kassandra, »vielleicht fürchte ich mich nicht so schnell. Vielleicht weine ich erst, wenn ich verletzt worden bin.«
    Helena lächelte. »Wie gut. Die meisten Frauen benehmen sich so töricht. Glaubst du, es besteht wirklich Gefahr?«
    »Weshalb fragst du mich?« sagte Kassandra. »Sicher hat man auch dir gesagt, daß ich verrückt bin.«
    »Du siehst nicht wie eine Verrückte aus«, erklärte Helena, »und ich ziehe es vor, mir selbst eine Meinung zu bilden.«
    Kassandra runzelte leicht die Stirn und drehte sich um. Sie wollte die Spartanerin nicht gern haben, und sie wollte auch nichts Bewundernswertes an ihr finden. Es war schlimm genug, daß sie etwas von dem in ihr sah, was Paris anzog.
    »Dann kannst du dir auch eine Meinung darüber bilden, ob Gefahr besteht oder nicht«, erwiderte Kassandra kurz angebunden. »Ich weiß nur, daß mich die Rassel des Wächters geweckt hat, und ich bin heruntergekommen, weil es meine Pflicht ist. Da ich achaische Schiffe im Hafen gesehen habe, nehme ich an, die Sache hat etwas mit dir zu tun. Es ist also durchaus möglich, daß wir etwas befürchten müssen, aber du mußt ganz sicher keine Angst haben.«
    »Ach nein?« entgegnete Helena. »Agamemnon ist bestimmt nicht mein Freund. Er hat nur einen Gedanken - er möchte mich Menelaos übergeben, und er würde zweifellos dabeistehen und sich davon überzeugen, daß ich nicht ungeschoren davonkomme.«
    Der ungewöhnlich saubere kleine Junge, der Helenas Hand umklammerte, zuckte zusammen. Helena entging das nicht, und sie blickte liebevoll auf ihn hinunter. Kassandra wußte nicht, weshalb sie das überraschte. Wieso hatte sie geglaubt, die Spartanerin könne nicht auch eine zärtliche, besorgte Mutter sein?
    Sie fragte: »Wie alt ist dein Sohn?«
    »Im Sommer wird er fünf«, antwortete Helena und winkte durch den Raum hinweg eine hagere, aristokratisch wirkende Frau zu sich, die den langen Rock und das tief ausgeschnittene Mieder einer Kreterin trug. »Aithra, würdest du Nikos zu dir nehmen und ihn irgendwo schlafen legen?« Sie gab dem kleinen Jungen einen Kuß, doch er wollte sie nicht loslassen. Helena ermahnte ihn freundlich: »Geh jetzt und schlaf. Sei ein lieber Junge.« Ohne Widerrede ließ er sich von der großen Frau wegbringen.
    »Ist das Menelaos’ Sohn?« fragte Kassandra.
    »Vielleicht würdest du es so ausdrücken«, erwiderte Helena ungerührt. »Ich sage, er ist  mein  Sohn. Wie auch immer, ich habe ihn nicht bei seinem Vater gelassen. Es gefällt mir nicht, wie er seine Kinder behandelt. Es wird meiner Tochter Hermione nicht schaden, wenn sie nur sein kostbares, vergoldetes Spielzeug ist. Aber Menelaos hat nur den einen Gedanken, Nikos zu seinem Ebenbild oder, noch schlimmer, zum Ebenbild seines wunderbaren Bruders zu machen. Ich habe Nikos wegbringen lassen, weil jemand unklugerweise in seiner Gegenwart erklärte,

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