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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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bald schlafen, aber Kassandra lag noch lange wach.
    Als sie endlich schlief, träumte sie unruhig. Sie suchte etwas - eine verlorene Waffe, vielleicht einen Bogen. Jedesmal, wenn sie glaubte, ihn gefunden zu haben, war es ein Bogen, den sie nicht haben wollte, denn entweder war er zerbrochen, oder seine Sehne war gerissen oder etwas Ähnliches.
    Was wollten die Götter ihr sagen? Sie war Priesterin und hatte gelernt, daß alle Träume Botschaften der Götter waren - wenn man ihre Bedeutung verstand. Sie konnte den Traum nur so deuten, daß sie, wie sie seit langem fürchtete, der Gunst des Sonnengottes nicht würdig war, und daß ER sich von ihr zurückgezogen hatte. Wie sehr sie sich auch bemühte, sie konnte dem Traum nur ein unbestimmt schlechtes Vorzeichen entnehmen: Was immer sie auf dieser Reise suchte, sie würde es nicht finden.
    Am nächsten Morgen verteilte Penthesilea Geschenke an Kassandra und ihre Frauen - einen neuen Sattel und warme Umhänge aus Pferdefell.
    »Ihr werdet sie brauchen, glaubt mir, wenn ihr die Hochebene überquert«, sagte sie. »Die letzten Winter waren sehr streng, und dort kann noch Schnee liegen.«
    Als sie sich zum Abschied umarmten, hätte Kassandra am liebsten geweint.
    »Wann werden wir uns wiedersehen, Tante?«
    »Wenn die Götter es wollen. Wenn es je der Wille der Erdmutter sein soll, daß ich meine Tage in einer Stadt beende, werde ich nach Troia kommen. Das schwöre ich dir, mein Kind. Ich glaube, deine Mutter würde die letzte ihrer Schwestern willkommen heißen, und auch Priamos wird mir nicht die Tür weisen. Vielleicht sollte ich mit meinen Kriegerinnen kommen und versuchen, einige dieser Achaier zu vertreiben.«
    »Wenn dieser Tag kommt, werde ich an deiner Seite kämpfen«, versprach Kassandra. Penthesilea drückte sie nur zärtlich an sich und erwiderte: »Das ist dir in diesem Leben nicht bestimmt, mein Liebling. Gelobe nichts, was du nicht halten kannst.« Sie ritt davon, ohne sich noch einmal umzusehen.

15
    Der Winter hielt sich auf der weiten Hochebene tatsächlich lange, und vier Tage nach ihrem Aufenthalt bei Penthesilea und ihren wenigen verbliebenen Amazonen verdunkelte sich der Himmel, und es begann so heftig zu schneien, daß Kassandra sich wunderte, daß ihre Diener dem schmalen und schlecht erkennbaren Weg überhaupt folgen konnten. Es schneite den ganzen Tag und auch noch den nächsten. Sie ritten zwar weiter, aber sie begegneten keinem Zeichen menschlichen Lebens. Einmal sahen sie am Horizont einen Kentauren, der sie beobachtete; als sie ihm ein Zeichen gaben, wandte er sich um und galoppierte davon.
    Sein Verhalten überraschte Kassandra nicht. Von Penthesilea wußte sie, daß die Bewohner der Hochebene Fremden gegenüber immer mißtrauisch waren, ganz besonders in dieser Zeit. Glücklicherweise mußten sie nicht mit den Bewohnern um Nahrung und andere Dinge handeln. Tag um Tag krochen sie über die endlose Weite; die Hufe der Tiere versanken im weichen Schlamm unter dem gefrorenen Gras. Der Schnee lag nie hoch genug, um gefährlich zu werden, und es regnete nie zu lange, so daß sich immer nur eine dünne Eisschicht bildete. Die große Steppe blieb leer und kahl, und sie fanden nur wenig Eßbares, um ihre karge Verpflegung zu ergänzen. Kassandra empfand es allmählich eintönig, über das öde Land zu reiten; sie krochen unter einem endlosen Himmel dahin, der so grau und so feindlich zu sein schien wie die Gesichter ihrer Begleiterinnen.
    Ein mühsamer, langweiliger Tag folgte dem anderen; der Mond nahm ab, verschwand und nahm wieder zu. Wie lange konnte der Winter noch dauern? Eines Nachts, als der volle Mond zwischen Wolkenfetzen hervorleuchtete, erwachte Kassandra und hörte das Rauschen von Wind und das Prasseln von Regen, der das Land davonzuschwemmen schien.
    Die Landschaft war am nächsten Morgen wie verwandelt. Überall flossen kleine Bäche und glänzten in einer neuen, starken Sonne; im warmen, weichen Wind sproß überall das junge Gras. Es wurde so warm, daß Kassandra den Umhang aus Pferdefell ablegte und in ihrem Unterkleid aus weichem Stoff weiter ritt.
    An einem dieser Frühlingstage erreichten sie ein Dorf. Es bestand nur aus ein paar runden steinernen Hütten, aber es war umgeben von Feldern mit grünem Wintergetreide, das unter dem schmelzenden Schnee zum Vorschein gekommen war. Kassandra erinnerte sich an das Dorf, das sie auf ihrem Ritt mit den Amazonen vor einigen Jahren besucht hatte und in dem so viele Kinder entstellt

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