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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Wangen und Lippen waren mit leuchtendem Rot geschminkt; sie trug die hauchdünnen bunten Gewänder aus dem Land der Pharaonen, und wie immer war ihr Haar mit Juwelen übersät. In all diesem Prunk waren nur die fröhlichen dunklen Augen unverkennbar dieselben, auch wenn sie in den Fleischwulsten irgendwie verloren wirkten.
    Als Kassandra die Halle betrat und stehenblieb, um die Königin auf die zeremonielle Weise zu begrüßen, erhob sich Imandra von ihrem Thron und ging - vielmehr watschelte - ihr entgegen.
    »Nein, meine Liebe, keinen Fußfall von meiner Großnichte«, sagte sie und zog Kassandra in die warmen, duftenden Arme - das Parfüm war so vertraut wie die Augen. »Ich kann dir nicht sagen, wie sehr ich mich freue, dich zu sehen, Tochter des Priamos. Du hast eine sehr lange Reise hinter dir, und sicher bringst du Nachrichten von meiner geliebten Tochter…«
    »Von deiner Tochter und deinem Enkelsohn. Andromache ist Mutter und bald - nein, wenn alles gutgegangen ist, hat sie inzwischen ihr zweites Kind«, sagte Kassandra, und Imandra strahlte.
    »Ich wußte es. Ich wußte es. Habe ich dir nicht gesagt, Liebster, daß so viel Zeit vergangen ist, daß ich inzwischen zweimal Großmutter sein müßte, wenn meine Tochter ihre Pflicht erfüllt hat?« fragte sie den hübschen jungen Mann an ihrer Seite, der ein goldenes Gewand trug und wie ein Athlet oder der Sieger bei Wettspielen aussah. »Morgen muß ich in die Schale schauen und versuchen, das Kind zu sehen. Ich will auch wissen, ob es meiner Tochter gutgeht. «
    Imandra reichte Kassandra die Hand, führte sie zur Tafel und setzte sie zwischen sich und den prächtig gekleideten jungen Mann. »Erzähl mir alles, was in den Jahren in Troia geschehen ist, seit du mich verlassen und mein größtes Kleinod mitgenommen hast. Und was hat dich allein auf diese weite Reise geführt?«
    »Vielleicht«, sagte der junge Mann, »ist die Herrin Kassandra gekommen, um unseren Beistand im Krieg gegen die Achaier zu erbitten. «
    »Dann würde sie nicht unter dem Schutz Apollons reisen«, erwiderte Königin Imandra. »Mein lieber Junge, ich kenne mich in solchen Dingen aus.« Sie wandte sich wieder Kassandra zu. »Du mußt deinen Eid nicht brechen, falls du einen geleistet hast. Ich werde Priamos unaufgefordert alle Soldaten, Männer und Frauen schicken, die mir zur Verfügung stehen, und auch so viele Wagen mit Eisen und Waffen wie möglich.«
    »Du bist überaus großzügig«, sagte Kassandra und erzählte von ihrer Mission. Imandra lächelte und küßte sie.
    »Morgen früh werden wir meine Priesterinnen und Schlangenmeisterinnen befragen«, sagte sie, »oder dann, wenn ein günstiger Tag für solche Fragen ist. Ich muß wohl nicht betonen, daß dir und dem troianischen Apollon alles Wissen unserer Stadt zu Diensten steht. Du sollst jederzeit mit allen ungehindert reden können. Aber du mußt mir versprechen, daß du lange in Kolchis bleibst.«
    »Die Königin ist sehr gnädig«, sagte Kassandra. Sie hatte genug vom Reisen und wünschte sich im Augenblick nichts mehr als einen langen Aufenthalt in Kolchis.
    »Keineswegs, Großnichte«, erwiderte Imandra. »Bist du nicht auch Priesterin? Stehst du nicht meiner Tochter am nächsten? Meine Wahrsager haben verkündet, das Kind in meinem Leib wird wieder eine Tochter sein, und ich betrachte es als ein gutes Vorzeichen, daß du bei der Geburt hier sein wirst.«
    Kassandra hatte nicht im geringsten daran gedacht, die Königin könne schwanger sein. Hatte sie das überhaupt in Betracht gezogen, wäre sie der Ansicht gewesen, Imandra sei zu alt, um noch ein Kind zu bekommen. Aber als sie die Königin jetzt genauer betrachtete, entdeckte sie tatsächlich die ersten Anzeichen einer Schwangerschaft. Sie beglückwünschte die Königin und fragte: »Soll das Kind an Andromaches Stelle die Thronfolgerin werden?«
    »Ja. Andromache liegt nichts an der Königswürde. Das hast du sicher inzwischen auch festgestellt«, sagte Imandra. »Es fällt einer Frau nicht schwer, die Geschäfte einer Königin zu vergessen, wenn sie glücklich ist - auch wenn es sich bei dieser Frau um eine Königin handelt. Habe ich das nicht schon öfter gesagt, Agon?« 
    Der hübsche junge Mann antwortete: »0 ja, Herrin.«
    Imandras dickes Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, das Kassandra nur als töricht bezeichnen konnte, als die Königin ihren Günstling anhimmelte. Kassandra begriff plötzlich, was geschehen war. Die unabhängige Königin Imandra, die Herrin

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