Die Feuer von Troia
sich höflich von Cheiron, der das Brot mit seinen Männern bereits teilte und dem die Krümel schon am Mund hingen.
Nach einem weiteren langen Tagesritt in die von Cheiron gewiesene Richtung entdeckte Kassandra in der Ferne eine Gestalt auf einem Pferd. Sie trug einen Bogen auf dem Rücken, wie Penthesileas Frauen ihn benutzten. Kassandra winkte, und die Frau ritt näher.
»Wer reitet mit einer Männereskorte durch unser Land?«
»Ich bin Kassandra, die Tochter des Priamos von Troia. Ich suche meine Tante, Penthesilea, die Amazonenkönigin«, antwortete sie. Die Frau trug das Lederhemd und die lederne Hose der Amazonen. Ihre langen, struppigen, schwarzen Haare hatte sie zu einem Knoten auf dem Kopf zusammengesteckt.
Die Frau musterte Kassandra mißtrauisch und sagte schließlich: »Ich erinnere mich an dich, Prinzessin. Damals warst du noch ein Kind. Ich kann die Stuten nicht allein lassen«, sie wies auf die Herde magerer Tiere, die verstreut das dürre Gras fraßen, »und es steht mir nicht zu, die Königin zu rufen. Aber ich werde sie wissen lassen, daß sie hier erwartet wird. Und wenn es ihr richtig erscheint, wird sie kommen.«
Die Amazone saß ab und entzündete ein kleines Feuer. Dann warf sie etwas in die Flammen, wodurch sich dicke Rauchwolken bildeten. Sie deckte das Feuer ab und ließ dann nacheinander drei Rauchwolken aufsteigen. Nach einiger Zeit sah Kassandra, daß eine große Reiterin über die Ebene auf sie zukam. Sie erkannte ihre Tante bereits aus der Entfernung.
Penthesilea erreichte die Gruppe, und Kassandra sah die Verwunderung im Gesicht ihrer Tante. Es dauerte einen Augenblick, bis Kassandra begriff, daß die Amazonenkönigin sie nicht erkannt hatte. Penthesilea hatte sie zuletzt als junges Mädchen gesehen. Jetzt, in der Kleidung einer Prinzessin und Priesterin, war Kassandra für sie eine fremde Frau.
Sie rief: »Erkennst du mich nicht, Tante?«
»Kassandra!« Penthesileas hageres, sonnengebräuntes Gesicht wurde weicher, aber sie wirkte immer noch angespannt und alt. Sie ritt näher, saß ab und umarmte Kassandra liebevoll. »Weshalb kommst du hierher, mein Kind?«
»Weil ich dich sehen wollte, Tante. « Als Kassandra sich von ihr das letzte Mal verabschiedet hatte, war ihr Penthesilea jung und stark erschienen. Jetzt fragte sich Kassandra, wie alt ihre Tante in Wirklichkeit wohl war. Sie hatte viele Falten und unzählige kleine Fältchen um Mund und Augen. Sie war immer schlank gewesen, aber jetzt war sie eindeutig mager. Kassandra überlegte, ob die Amazonen wie die Kentauren Hunger litten.
»Wie ist es mit diesem Krieg um Troia?« fragte Penthesilea, »wirst du heute nacht bei uns bleiben und uns davon erzählen?«
»Mit Vergnügen«, erwiderte Kassandra, »und wir können in aller Muße über diesen Krieg sprechen, obwohl ich wahrlich genug davon habe. « Sie wies die Sänftenträger an, ihnen zu folgen, und ritt neben Penthesilea zu einer Höhle an einem Abhang. In der Höhle sah sie kaum ein halbes Dutzend meist älterer Frauen und einige kleine Mädchen. Als sie bei den Amazonen gelebt hatte, waren es gut ein halbes Hundert gewesen. Jetzt gab es offenbar keine Säuglinge und keine jungen Frauen im gebärfähigen Alter mehr.
Penthesilea entging Kassandras Blick nicht, und sie sagte: »Elaria und fünf andere sind im Dorf der Männer. Ich mache mir große Sorgen, aber ich wußte, ich mußte sie jetzt gehen lassen, sonst würde ich es nie mehr wagen, sie überhaupt noch einmal in das Dorf zu schicken. Doch, das ist wahr - du weißt nicht, was geschehen ist, nicht wahr? Dann hat die Geschichte unserer Schande Troia noch nicht erreicht… «
»Ich habe nichts davon gehört, Tante.«
»Komm und setz dich. Wir unterhalten uns beim Essen.« Sie lächelte und schnupperte genußvoll. »So gut haben wir seit vielen Monden nicht mehr gegessen. Danke.«
Die Mahlzeit war durch getrocknetes Fleisch und Brot aus Kassandras Vorräten ergänzt worden. »Trotzdem«, sagte Penthesilea, »sind wir nicht so schlecht dran wie die Kentauren. Sie hungern, und bald wird es keine mehr geben. Bist du unterwegs überhaupt Kentauren begegnet?«
Kassandra erzählte von Cheiron, und die Ältere nickte.
»Ja, ihm und seinen Männern können wir immer trauen. Im Namen der Göttin, ich wünschte…« Sie brach ab. »Im letzten Jahr hatten wir vereinbart, in eines der Dörfer der Männer zu gehen. Wir wollten auch Metalltöpfe, Pferde und auch ein paar Milchziegen tauschen. Nun ja, wir kamen wie
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