Die Feuer von Troia
ersten Zahn. Kurze Zeit später konnte sie ihre Milch aus einem Becher trinken, und bald darauf aß sie in Milch eingeweichtes Brot oder alles, was man ihr zerdrückte und mit einem Löffel fütterte. Früher, als Kassandra erwartete, hatte sie alle Zähne, griff nach dem Essen auf den Tellern der andern und kaute darauf herum: Wenn sie abends anhielten, konnte Kassandra sie nicht länger auf den Boden setzen, denn sie kroch davon und fand es schnell höchst unterhaltsam, sich zu verstecken, weil sie dann gerufen und gesucht wurde. Schließlich kam es so weit (glücklicherweise, nachdem der schlimmste Schnee hinter ihnen lag), daß sie Bienchen nicht mehr aus den Augen lassen konnten, weil sie sonst selbst aus dem fahrenden Wagen gekrabbelt wäre. Bald lief und rannte sie übermütig herum, wenn sie anhielten. Kassandra fand, Biene sei kein besonders hübsches Kind. Aber sie war stark und kräftig, nie krank und nur selten unleidlich - auch nicht, als sie zahnte.
Die Zeit verging, und ihr Ziel rückte näher. Sie erreichten eine Gegend mit besseren Wegen und begegneten mehr Reisenden. Scheinbar war die ganze Welt unterwegs nach Troia mit Waffen und allen möglichen Gütern, um sie den Troianern zu verkaufen (oder den Achaiern. Offenbar ließen die Achaier keine Waren mehr in die Stadt und versperrten alle Zugänge vom Land und vom Meer). Eines Tages tauchten vor ihnen die vertrauten Umrisse des Ida auf, und sie fuhren am Skamander entlang.
Beim ersten Anblick der Stadt kam es Kassandra vor, als sei am Fuß der großen Stadtmauer eine zweite, weitläufige Stadt mit Hütten, Zelten und Schutzdächern entstanden. Der Hafen war schwarz von Schiffen, die sich dort drängten. Gestank erfüllte die Luft, als spüle das Wasser nur noch Unrat ans Land. Karren und Streitwagen verstopften die Straßen dieser neuen Stadt, und Kassandras Troß wurde sofort von achaischen Soldaten angehalten. Kassandra erinnerte sich daran, solche Rüstungen bei den Soldaten des Achilleus gesehen zu haben. Man fragte sie nach dem Woher und Wohin.
Ihren Leuten gelang es nicht, den Soldaten etwas zu erklären. Deshalb stieg Kassandra, die die Sprache der Achaier etwas besser beherrschte, vom Wagen. Biene saß auf ihrer Schulter, als Kassandra erklärte, sie sei die Tochter des Priamos und kehre von einer langen Reise nach Kolchis zurück. Sie dachte nicht daran, daß dies eine große Überraschung sein könne. Doch die Nachricht ging sofort von Mund zu Mund. Schließlich riefen alle nach dem Befehlshaber.
Kassandra vermutete, das sei Achilleus. Aber statt dessen kam der etwas größere, schlankere, dunkelhaarige junge Mann, den sie als Patroklos kennengelernt hatte. Er behandelte sie mit einem gewissen Maß an Höflichkeit - jedenfalls höflicher, als Achilleus in ihrer Erinnerung gewesen war. Aber offenbar erkannte er sie nicht wieder.
»Du behauptest also, du bist die Tochter des alten Königs? Warte! Im Zelt des Königs Agamemnon gibt es eine Frau, die im Palast aufgewachsen ist - zumindest sagt sie das. Sie kann uns verraten, ob du die bist, für die du dich ausgibst, oder nicht.« Er ging davon.
Biene wurde ihr schwer auf den Schultern. Kassandra bat eine der Wachen um Erlaubnis, sie absetzen zu dürfen. »Lauf nicht weg!« ermahnte sie Biene. Sie glaubte nicht, daß einer der Soldaten wissentlich einem Kind etwas tun würde - außer vielleicht in der Hitze eines Gefechts. Aber ganz sicher war sie sich nicht, und sie traute den Achaiern nicht genug, um das auf die Probe zu stellen.
Nach einiger Zeit kam Patroklos mit einer verschleierten Frau. Sie schlug den Schleier zurück und sah Kassandra an. »Ja«, bestätigte sie, »es ist die Tochter des Priamos.« Kassandra erkannte bestürzt und erschrocken Chryseis.
Es beruhigte sie jedoch etwas, daß Chryseis gesund war und daß es ihr offensichtlich gutging.
Sie sagte: »Chryseis, ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Ich weiß, wie bekümmert dein Vater gewesen ist.« Chryseis war eine große, kräftige Frau geworden. Sie besaß immer noch diese erstaunlich blonden Haare, denen sie ihren Namen verdankte.
Patroklos sprach mit einem der Soldaten. Sie schienen zu überlegen, ob sie Kassandra festhalten und Lösegeld verlangen oder gegen einen gefangenen Achaier austauschen sollten.
»Das könnt ihr nicht«, sagte der Anführer ihrer Männer. »Sie ist eine Priesterin des Apollon und reist unter Apollons Schutz.«
»Ach ja, richtig«, sagte Patroklos, »vielleicht können wir dann etwas
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