Die Feuer von Troia
entgegnete Agamemnon überheblich. »Patroklos, kannst du den kleinen Wilden nicht bändigen? Er ist kaum alt genug, um sich in Männerangelegenheiten zu mischen. Achilleus, wozu brauchst du in deinem Alter schon eine Frau? Ich schicke dir eine Kiste Spielsachen, die eigentlich für meinen Sohn bestimmt waren.«
Kassandra kniff die Augen zusammen. Das hätte Agamemnon nicht sagen dürfen. Achilleus ist jung, aber man darf sich nicht so überheblich auf seine Kosten lustig machen.
Die Oberpriesterin der Troianer fragte: »Khryse, hast du für deine Tochter einen Umhang? Da im Lager die Pest wütet, darf sie kein Kleidungsstück von hier mit in die Stadt nehmen. Ehe sie Troia betreten darf, muß man ihr die Haare abschneiden und alles verbrennen, was sie trägt.«
Khryse winkte einem Diener, der ein langes Gewand und einen Umhang brachte.
»Gut, man soll alles verbrennen, was sie von den Achaiern bekommen hat«, stimmte er zu. »Aber muß das mit den Haaren wirklich sein?«
»Es tut mir leid. Nur so können wir sicher sein, daß sie die Pest nicht einschleppt«, sagte die Priesterin. Agamemnon erschien mit Chryseis, und Khryse wollte zu ihr eilen, um sie zu umarmen. Aber die Oberpriesterin hinderte ihn daran.
»Zuerst sollen die Frauen sie entkleiden und ihr Gewand verbrennen«, befahl sie. Charis und Kassandra bildeten mit den anderen Priesterinnen einen Kreis, um Chryseis vor den Blicken der Männer zu schützen. Dann zog man ihr das Ober- und das Unterkleid aus. Chryseis ließ das alles über sich ergehen. Aber als Charis die aufgesteckten Haare löste und nach einem Messer griff, um sie abzuschneiden, wich sie zurück.
»Nein, ich habe alles ertragen. Aber ihr dürft mich nicht dem Gespött aussetzen, indem ihr mir die Haare abschneidet. lch muß nicht gereinigt werden und verdiene auch keine Strafe.«
Charis sagte freundlich: »Es geschieht nur aus Angst vor der Pest. Du kommst von einem verseuchten Lager in eine Stadt, die bis jetzt noch von der Seuche verschont ist.«
»Weder habe ich die Pest, noch bin ich in der Nähe eines Menschen gewesen, der sie hat.« Chryseis schluchzte. »Laßt mir meine Haare!«
»Es tut mir leid, wir müssen es tun«, sagte Charis, packte die langen Haare und schnitt sie im Nacken ab. Chryseis begann hemmungslos zu schluchzen. »Was hast du getan? Ich werde zum Gespött aller! Sie werden mich auslachen und verhöhnen. Du hast mich schon immer gehaßt, Kassandra. Und jetzt tust du mir das an!«
»Was bist du für ein dummes Kind«, sagte Charis barsch. »Wir tun, was die Oberpriesterin uns befohlen hat, mehr nicht. Mach nicht Kassandra dafür verantwortlich.« Sie reichte Chryseis das Gewand, das ihr Vater mitgebracht hatte. »Ich habe keine Nadel. Du mußt es über den Brüsten zusammenhalten.«
»Nein«, erwiderte Chryseis trotzig. »Wenn du keine Nadel hast, soll es meinetwegen ruhig offenstehen.«
Charis sagte achselzuckend: »Es ist deine Sache, wenn du willst, daß jeder achaische Soldat auf deine nackten Brüste starrt. Aber dein Vater würde sich vielleicht schämen. Ich bitte dich um seinetwillen: Halte das Gewand zusammen, damit die Schicklichkeit gewahrt ist.«
Charis bedeutete den Frauen, den Kreis zu öffnen, damit Chryseis zu ihrem Vater gehen konnte. Agamemnon wollte zu ihr, aber Odysseus hielt ihn zurück und sprach leise und eindringlich auf ihn ein.
22
Einen Tag nach Chryseis’ Rückkehr rief man Kassandra in den Palast. Ihre Eltern luden sie ein, mit ihnen zu essen. Kassandra vermutete, Priamos wolle Genaueres über das Geschehene wissen. An der Tafel saßen außer dem König Lind der Königin Kreusa und Aeneas, Hektor und Andromache mit ihrem kleinen Sohn und Helena und Paris mit ihren Kindern. Nikos, ein hübscher Junge, war ein Jahr älter als Hektors Sohn. Die Zwillinge liefen durch die Halle, wurden aber nicht zu laut, da die beiden Ammen sie verhältnismäßig gut im Zaum hielten.
Kassandra kam es merkwürdig vor, daß die Kriegsjahre offenbar so wenig Veränderungen in der großen Halle bewirkt hatten. Die Wandmalereien waren etwas verblaßt und hatten Risse; vermutlich hatten die Handwerker, die sie normalerweise aufgefrischt hätten, inzwischen andere Pflichten oder dienten im Heer. Es wurden viele unterschiedliche Speisen aufgetragen, darunter auch frischer Fisch - allerdings auffallend wenig. Andromache erzählte, die Achaier hätten den Hafen verschmutzt, und die schmackhafteren Fische könne man nur noch auf hoher See fangen. Es gab
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