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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Unsterblichen in Frage zu stellen. Die Götter sind den Menschen keine Rechenschaft schuldig, und wenn wir an IHNEN zweifeln, werden SIE uns vielleicht dafür bestrafen.«
    »Ach Unsinn«, rief Kassandra. »Warum sollte IHNEN jemand dienen, wenn SIE so töricht wären, die Ordnung zu stören, und eifersüchtig über IHRE Macht wachen würden?«
    »Du hast gelobt, den Göttern zu dienen. Fürchtest du sie überhaupt nicht?« fragte Andromache.
    »Ich fürchte die Götter«, erwiderte Kassandra, »nicht das, was SIE nach Meinung der Menschen sind.«
    Die Schlangen im Sonnentempel schienen ungewöhnlich unruhig zu sein - Phyllida berichtete das Kassandra, als sie kam und sich um ihre Schützlinge kümmerte. Einige verkrochen sich und kamen nicht wieder zum Vorschein; sie ließen sich nicht anfassen oder baden; andere waren lustlos und träge. Kassandra ging von einer zur anderen und versuchte herauszufinden, was ihnen fehlte. Sie erinnerte sich an das Erdbeben vor Melianthas Tod. War dies eine Warnung vor einem neuen Schlag Poseidons?
    Ich sollte den Palast benachrichtigen , dachte Kassandra . Aber als sie das letzte Mal dort etwas vorausgesagt hatte, war sie verhöhnt und verspottet worden. Priamos hatte ihr sogar verboten, noch einmal über ihre Visionen zu sprechen. Man würde mir nicht glauben, wenn ich ihnen eine Warnung zukommen ließe . Aber plötzlich wußte Kassandra ohne den geringsten Zweifel, daß sie auf die Stimme hören mußte, die sie warnte. Sie konnte nichts tun, um das Erdbeben abzuwenden, das der Gott, welcher der Unsterblichen es auch sein mochte, schicken wollte. Aber das Schlimmste ließ sich vielleicht vermeiden. Innerlich aufgewühlt, griff sie nach ihrem Umhang und rief Phyllida zu, sie möge versuchen, die Schlangen irgendwie zu beruhigen. Phyllida hatte ihren Sohn und Biene zu Bett gebracht, und jedes der beiden Kinder streichelte eine unruhige Schlange. Als Kassandra sich über sie beugte, sah sie plötzlich, wie das Dach des Tempels einstürzte. Schnell gab sie Anweisung, die Betten der Kinder in den Hof zu tragen. Sollten die Gebäude zerstört werden, würden die Kleinen wenigstens nicht unter den Trümmern begraben.
    Dann lief sie in den Hof hinaus und rief: »0 großer Apollon! Halte die Hand DEINES Bruders zurück, der die Erde erzittern läßt. DEINE Schlangen haben mir DEINE Warnung zukommen lassen. Laß alle DEINE Diener sie hören!«
    Auf ihr Rufen hin liefen die Priester und Priesterinnen zusammen. Khryse fragte: »Was ist los? Bist du krank? Bist du von einem Gott heimgesucht?«
    Kassandra kämpfte darum, das Zittern ihres Körpers zu kontrollieren. Sie bemühte sich, klar und deutlich zu sprechen und ruhig zu klingen.
    »Die Schlangen haben mich gewarnt«, rief sie und wußte, daß sie verstört, ja sogar außer sich klang. »Wie damals vor Melianthas Tod sind sie ruhelos und wollen sich verkriechen. Noch vor dem Morgengrauen wird die Erde beben. Alles, was kostbar ist, muß gerettet werden. Niemand sollte in dieser Nacht unter einem Dach schlafen, denn es könnte einstürzen.«
    »Sie ist verrückt«, sagte Khryse. »Wir wissen seit vielen Jahren, daß sie bei ihren Visionen vom Wahnsinn erfaßt ist.«
    »Trotzdem«, gab einer der älteren Priester zu bedenken. »Was immer sie über die Götter weiß oder nicht weiß, so hat sie doch in Kolchis bei einer Meisterin dieser Kunst das Schlangenwissen erlernt. Wenn die Schlangen sie gewarnt haben …«
    Charis erklärte: »Die Warnung ist erteilt worden. Wir dürfen sie nicht mißachten. Tut, was ihr wollt, und tragt die Folgen. Ich und meine Priesterinnen werden jedenfalls heute nacht unter freiem Himmel schlafen, der zumindest noch nicht über uns einstürzen wird.«
    Es wurde bereits dunkel. Man brachte Fackeln, und die Priesterinnen trugen eilig alles ins Freie, was von fallenden Steinen oder einstürzenden Mauern gefährdet werden würde. Khryse war immer noch mißmutig. Kassandra wußte, es war ihm nur recht, wenn man glaubte, ihre Worte seien nicht wahr.
    Kassandra lief zum Tor. »Öffnet!« rief sie. »Ich will die Leute in der Stadt und im Palast warnen!«
    »Nein, haltet sie auf!« rief Khryse, eilte herbei, packte sie am Arm, um sie am Verlassen des Tempels zu hindern. »Wenn das Volk gewarnt werden muß, so schlagt Alarm. Dann laufen die Leute aus den Häusern, ohne daß es aussieht, als seien wir alle vom Wahnsinn gepackt, nicht bei Sinnen und glaubten grundlos den albernen Träumen einer Frau.«
    »Rühr mich nicht an!

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