Die Feuer von Troia
enttäuscht hinter ihr her.
Als sie schließlich erwachte, drang fahles Sonnenlicht durch die Läden, und Biene sah sie staunend an. Kassandra überlegte, ob sie im Schlaf gesprochen oder gerufen hatte. Sie schlief nur selten so lange, aber natürlich war sie auch beinahe bis zum Morgen wach gewesen. Sie kleidete sich rasch an und versuchte, sich Hektors Botschaften einzuprägen. Sie wußte, wie schnell solche halberinnerten Erlebnisse wie Träume aus dem Bewußtsein schwanden. Sie legte sich gerade den Gürtel um, als Phyllida hereinkam. »Kassandra, schnell, die Schlangen…«
»Ich kann nicht«, erwiderte Kassandra. »Ich bin sicher, du kannst alles tun, was notwendig ist.«
»Aber…«
»Also gut, dann aber schnell… Sind sie davon gekrochen oder wollen sie ihre Töpfe nicht verlassen?« fragte sie und fürchtete plötzlich, das sei wieder eine Warnung vor einem schweren Erdbeben. Es mußte bald kommen, aber - ich flehe EUCH an, ihr Götter, nicht heute, nicht heute!
»Nein, aber …«
»Dann übernimm du es. Mich beschäftigen wichtigere Dinge, und ich kann nicht hierbleiben und mit dir sprechen. Nimm Biene mit, zieh sie an und gib ihr etwas zum Frühstück. Ich bin zurück, so schnell ich kann, und kümmere mich dann um alles!« rief sie, lief aus dem Zimmer und den Hügel hinunter.
Unterwegs blieb sie kurz stehen und warf einen Blick über die Mauer. Der Streitwagen des Achilleus donnerte über die Ebene; Achilleus schien die Pferde mit der Peitsche wie wahnsinnig anzutreiben, während er Hektors Leiche hinter sich herzog. Kassandra gelang es kurz, in beide Welten zu blicken. Sie sah Hektor, eine leuchtende, strahlende Gestalt. Er lachte über den törichten Achilleus. Sie wußte, was er so komisch fand, und als sie schließlich zu ihren Eltern trat, die auf dem üblichen Platz über dem Tor standen, mußte auch sie laut lachen.
Hekabes vom Weinen geschwollene Augen richteten sich zornig auf sie.
»Wie kannst du lachen?«
»Siehst du nicht, Mutter, wie töricht das alles ist? Sieh doch, im Schatten der Erdwälle steht Hektor und lacht über Achilleus. Sieh doch die Sonne auf seinem Haar…
Hekabe warf Kassandra einen resignierten Blick zu, der bedeutete: Natürlich, sie ist verrückt. Man kann von ihr nicht erwarten, daß sie wie ein normaler Mensch empfindet. Kassandra griff nach den Händen der Königin.
»Mutter, was ich dir sage, ist wahr. Ich habe letzte Nacht mit Hektor im Land jenseits des Todes gesprochen, und ich sage dir, es geht ihm gut.«
»Du hast geträumt, Liebling«, sagte Hekabe sanft.
»Nein, liebe Mutter, ich habe ihn gesehen, wie ich dich sehe, und habe ihn berührt, wie ich dich berühre. «
»Ich wollte, ich könnte dir glauben … « Der alten Frau stiegen Tränen in die Augen und rannen langsam über ihre Wangen.
»Wirklich, Mutter, du mußt mir glauben. Er hat mir aufgetragen, dir zu sagen, daß du nicht trauern darfst.«
»Letzte Nacht habe ich einmal beinahe geglaubt, Troilos sprechen zu hören.«
»Das stimmt, Mutter, ich sage dir, es stimmt!« rief Kassandra erregt und erfüllt von ihrer Botschaft. »Ich habe Troilos nicht gesehen oder gesprochen. Aber Hektor hat mir erzählt, daß er bei dir geblieben ist und versucht hat, dich zu trösten und mit dir zu sprechen. «
Hekabe sagte langsam und leise: »Polyxena und ich waren plötzlich so müde und konnten nicht länger wachen. Ich trat ans Fenster und glaubte plötzlich zu spüren, wie Troilos mir über die Haare strich, wie er es immer getan hat, seit er zu alt war, um mich zu küssen. Er war so ein lieber Junge. Er war mir der liebste von allen meinen lieben Söhnen…« Hekabe schluchzte, und Kassandra drückte sie fest an sich.
»Er stand ganz bestimmt neben dir, ich schwöre es dir.«
»Und du sagst, Hektor - hat auch Frieden gefunden? Aber wie ist das möglich, solange sein Leichnam nicht in allen Ehren begraben und sein Geist versöhnt worden ist?« fragte Hekabe. »Und wenn es so wäre«, fügte sie hinzu, »weshalb hätten die Götter Begräbnisrituale angeordnet?«
»Ich weiß nur, was ich gesehen habe, Mutter.«
»Es nützt nichts«, stöhnte Hekabe verzweifelt, nachdem sie eine Weile darüber nachgedacht hatte. »lch kann nicht glauben, daß sein Geist frei ist, wenn ich sehe, wie sein armer Körper… Sieh doch, obwohl es die ganze Nacht geregnet hat, wirbelt der Staub schon wieder auf!« rief sie und weinte heftiger als zuvor.
Kassandra versuchte, die Tränen ihrer Mutter mit dem
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