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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Schleier zu trocknen, und ermahnte: »Es bricht Hektor das Herz, wenn er mitansehen muß, wie du weinst, Mutter. Achilleus kann ihm kein Leid mehr zufügen, ganz gleich, was er tut. Selbst wenn er Hektors Leiche zerstückeln und den Hunden zum Fraß vorwerfen sollte, würde es dem Hektor, den wir kennen, nicht das geringste ausmachen.«
    Hekabe krümmte sich; ihr schien übel zu werden. »Wie kannst du so etwas sagen, Kassandra?!«
    »Ich habe bei Apollon geschworen, die Wahrheit zu sagen. Wer die Wahrheit nicht hören will, dem kann ich nur wiederholen, daß mich das nicht davon entbindet, sie auszusprechen«, erwiderte Kassandra und verstand nicht, warum nur ihre Mutter sie so wütend machen konnte, obwohl oder gerade weil sie versuchte, in ihrer Gegenwart nichts zu sagen, worüber Hekabe sich aufregen konnte.
    »Aber du behauptest, sie könnten unseren Hektor den Hunden vorwerfen…«
    »Mutter, das habe ich nie gesagt!« Kassandra war jetzt wirklich zornig. Aber sie gab sich große Mühe, ruhig zu sprechen. »Du hast mich nicht richtig verstanden. Ich sagte, wenn Achilleus in seinem Wahnsinn so etwas tun sollte, würde es Hektor nichts ausmachen, sondern nur uns.«
    »Aber du hast gesagt, ich habe es gehört, wir müßten für ihn keine Begräbnisrituale vollziehen«, beharrte Hekabe, und Kassandra seufzte, als trage sie eine sehr schwere Last den Hügel hinauf. »Mutter, ich glaube, Hektor oder den Göttern sind Begräbnisrituale nicht wichtig, sondern nur uns«, wiederholte sie langsam, als versuche sie etwa, Biene zu erklären, warum sie nicht zu viele Kuchen auf einmal essen dürfe.
    Hekabe hob den Kopf. »Und ich sage, das ist nur wieder eine deiner verrückten Ideen«, erklärte sie und wandte sich ab.
    »Ja, wahrscheinlich, Mutter«, sagte Kassandra mit unterdrücktem Zorn.
    Sie ist alt. Ich kann nicht erwarten, daß sie etwas versteht, was neu für sie ist.
    »Aber ich bitte dich, sprich nicht mit Andromache darüber, Kassandra. Sie hat auch ohne das genug Kummer.«
    »Ohne was?« fragte Andromache, die gerade auf die Mauer kam und Hekabes letzte Worte gehört hatte.
    »Ich habe ihr gesagt«, begann Kassandra, aber Hekabe warf ihr einen wütenden  Wage-ja-nicht- Blick zu, und Kassandra stellte fest, daß sie über dem Streit mit ihrer Mutter die genauen Worte von Hektors Botschaft an Andromache vergessen hatte. Erschöpft fuhr sie fort: »Ich habe letzte Nacht in einer Vision mit Hektor gesprochen. Er möchte, daß du getröstet bist, denn es geht ihm gut, und er hat Frieden gefunden, ganz gleich, was sie mit seinem Leichnam tun.« Sie sollte Andromache noch etwas sagen - aber was? Hektor wollte kommen, um seinen Sohn abzuholen…  Nein! Ich kann ihr nicht sagen, daß ihr Sohn sterben wird, denn sie hat bereits Hektor verloren … Sie… was war es noch … ? Sie… kann nicht wollen, daß er die Zeiten erlebt, die kommen werden …
    Andromache betrachtete sie mißtrauisch mit hochgezogenen Augenbrauen. Schließlich sagte Kassandra: »Er hat mich gebeten, dir zusagen… er werde auch in Zukunft über seinen Sohn wachen.« 
    »Damit ist uns beiden aber viel geholfen«, murmelte Andromache und unterdrückte ihre Tränen, »nachdem er uns verlassen hat.« 
    »Aber Hektor möchte nicht, daß du weinst und trauerst«, beteuerte Kassandra. »Das hilft ihm jetzt nicht. «
    »Das kann uns jeder Priester und Seher verraten«, erwiderte Andromache bitter. »Von dir hatte ich etwas mehr erhofft - wenn du wirklich in das Reich des Todes blicken kannst.«
    »lch sage, was der Gott mir gebietet, und ich sage es in Worten, die die Menschen bereit sind zu hören«, erwiderte Kassandra und wandte sich ab. Auf der Ebene peitschte Achilleus immer wilder auf seine Pferde ein. So ging es den ganzen Tag, bis die Sonne über Troia sank. Paris unternahm noch zweimal einen Ausfall, um den Streitwagen abzufangen und Hektors Leiche zu erobern, und zweimal trieben die Truppen Agamemnons die Troianer zurück. Drei Söhne des Priamos von seinen Nebenfrauen wurden getötet, und schließlich mußten alle einsehen, daß Achilleus von seinen Leuten zu gut beschützt wurde.
    »Genug«, erklärte Priamos nach dem dritten Ausfall, »die Sonne geht unter. Wenn es dunkel geworden ist, werde ich zu Achilleus gehen und versuchen, mit ihm ein Lösegeld für den Leichnam meines Sohnes auszuhandeln.«
    Wie töricht,  dachte Kassandra,  und wie nutzlos. Hektor ist nicht dieses Stück verwesendes Fleisch, das Achilleus an seinem verwünschten

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