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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Fellen und Tierhäuten, Wandbehänge und auf einem Tisch Früchte und Wein. Achilleus saß in der Mitte des Zelts. Es hatte den Anschein, als habe er sich für eine Audienz vorbereitet. Am anderen Ende des Zelts lag im Lichtkreis vieler Lampen die einbalsamierte und verhüllte Leiche des Patroklos, genau, wie Kassandra es gesehen hatte. In der Nähe des Eingangs stand Agamemnon und neben ihm Odysseus; sie hielten einen Becher Wein in der Hand. Achilleus kam offenbar gerade aus dem Bad, denn er wirkte sauber und hatte die rosige Haut eines Kindes. Eine Frau bürstete ihm die langen blonden Haare. Kassandra erkannte Briseis.
    Als Priamos vor ihm stand, hob Achilleus die Hand und gebot Briseis Einhalt. Sie zog sich zurück.
    »König von Troia«, begann er und verzog die dünnen Lippen zu einem (wie Kassandra fand) verächtlichen Lächeln, »was führt dich in einer solchen Nacht zu mir?«
    Als ob er es nicht genau weiß!  Aber Achilleus war offenbar entschlossen, den Auftritt zu genießen. Priamos trat einen Schritt vor, kniete umständlich nieder und streckte dem Jüngeren flehend die Hände entgegen.
    »0 mein Prinz Achilleus. Ich bin sicher, ich muß dir nicht sagen, warum ich gekommen bin. Ich bitte dich, gib mir, wie es der Sitte entspricht, den Leichnam meines Sohnes Hektor, damit ich ihn angemessen begraben kann.«
    Achilleus verzog das Gesicht kaum merklich zu einem Lächeln. Priamos sprach schnell weiter: »Du bist so tapfer, Prinz. Du hast viel gekämpft. Aber in all diesen Jahren haben wir dir deine Toten überlassen, damit ihre Leichen dem Feuer übergeben und ihre Geister in die Nachwelt geschickt werden konnten.«
    »Hektor hat mich erzürnt«, erwiderte Achilleus. »Er hätte wirklich nicht so anmaßend sein dürfen, gegen mich zu kämpfen, den die Götter zu schützen geschworen haben.«
    Priamos schluckte. Er wußte nicht, was er darauf sagen sollte. Kassandra ballte unter dem weiten Gewand die Fäuste.
    Er wagt es, von Anmaßung zu sprechen?
    Priamos antwortete schließlich: »Prinz, ein Krieger fordert den besten Gegner heraus, den er finden kann. Hektor ist tot. Du bist so mächtig. Kannst du kein Erbarmen mit Hektors Frau und seinem Sohn haben?«
    »Nein«, erwiderte Achilleus, »das kann ich nicht.«
    Kassandra spürte, daß alle im Zelt auf das nächste Wort warteten, aber Achilleus schwieg so lange, daß Kassandra glaubte, er wolle es dabei belassen. Dann sagte er: »Ich habe geschworen, die Rache voll und ganz auszukosten.«
    Priamos beugte sich vor und legte Achilleus die Hände auf die Knie. Er beschwor ihn:
    »Prinz Achilleus, du mußt einmal einen Vater gehabt haben. Hast du beim Gedächtnis deines Vaters kein Erbarmen? Hektor war mein ältester Sohn. Ich war so stolz, wie dein Vater auf dich stolz gewesen sein muß. Und als der tapfere Patroklos im Kampf gefallen war, versuchte Hektor nicht, seinen Leichnam zu behalten. Er ehrte einen tapferen gefallenen Gegner! Er kam zu den Spielen für Patroklos, denn er sagte, Patroklos werde ihm ein gutes Mahl nicht mißgönnen. Und er sagte, er freue sich darauf, mit Patroklos im Nachleben über vieles reden zu können. Sie waren beide Krieger, und Hektor vertraute darauf, sie würden als Krieger Freunde werden, wenn die Schlachten in dieser Welt vorüber seien. Laß uns Hektor zur Ruhe legen, wie auch du Patroklos begraben willst.« 
    Achilleus blickte zu der aufgebahrten Gestalt hinüber, und Kassandra sah, daß ihm plötzlich die Tränen in die Augen stiegen und daß die widersprüchlichen Gefühle, die in ihm tobten, sich in seinem Gesicht spiegelten: Haß, Hohn, Mitleid, Trauer. Die Trauer herrschte vor. lhr Vater hatte offenbar den richtigen Ton gefunden, der Übermut und Hohn besiegen konnte. 
    Achilleus sagte langsam: »Du hast recht, König von Troia. Patroklos hat also einen Freund im Nachleben. Wache!« stieß er plötzlich hervor, »bringt uns den Leichnam des königlichen Hektor!«
    Der Mann verneigte sich bis zum Boden und verließ schnell das Zelt.
    Achilleus sagte: »Du hast von Lösegeld gesprochen. Was für ein Lösegeld bietest du mir?«
    Priamos murmelte: »Edler Achilleus, es ist an dir, es festzusetzen.« Er zog den Ring von seiner Hand und schob ihn Achilleus auf den Finger. »Zuerst nimm dieses Geschenk mit meinem Dank.« Achilleus betastete den Ring nachdenklich. Dann sagte er mit seinem grausam kalten Lächeln: »Vermutlich ist dir Hektor mehr wert als ein paar eroberte Streitwagen.«
    Der Wahnsinnige genießt das alles.

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