Die Feuer von Troia
Kassandra entging nicht, daß Achilleus sich eine Ungeheuerlichkeit ausdachte. Priamos murmelte: »lch habe geschworen, dir zu zahlen, was du forderst, Prinz Achilleus, und ich werde nicht mit dir feilschen.«
Achilleus rieb sich das Kinn. Offenbar hatte er vor, diese Gelegenheit soweit auszukosten wie möglich. »Agamemnon, was soll ich als Lösegeld fordern?«
»Fordere viel«, erwiderte Agamemnon lässig. »Der König von Troia kann alles bezahlen, was du verlangst. Hinter den Mauern seiner Stadt liegt die Hälfte aller Reichtümer der Welt.«
Odysseus unterbrach ihn und sagte laut: »Dein Adel, Achilleus, wird an deiner Großzügigkeit gemessen werden. Soll ein Troianer dich an Großzügigkeit übertreffen?« Odysseus hatte das Gesicht abgewandt, und Kassandra glaubte, er schäme sich. Sie wünschte, sie hätten nur mit Odysseus verhandeln müssen.
»Man spürt deutlich, daß du immer ein Freund der Troianer gewesen bist«, sagte Agamemnon. »lch habe nicht vergessen, daß wir dich nur schwer dazu überreden konnten, überhaupt auf unserer Seite zu kämpfen.«
»Die Hälfte der Reichtümer der Welt«, murmelte Achilleus und betrachtete stolz den Ring. »Wie auch immer, ich möchte nicht zu habgierig erscheinen. Was sollte ich mit der Hälfte aller Reichtümer dieser Welt anfangen? Ich fordere also nur das Gewicht von Hectors Leichnam in Gold.«
»Du sollst es bekommen«, erklärte Priamos, ohne mit der Wimper zu zucken. »Ich habe es geschworen.«
Das ist unerträglich, dachte Kassandra, in der Geschichte aller Kriege hat noch niemand für einen Toten ein solches Lösegeld gefordert oder bezahlt.
Odysseus machte eine heftige Bewegung, als wolle er widersprechen, aber er schwieg. Kassandra wußte, weshalb. Ein falsches Wort konnte den Wahnsinn wieder wecken, und dann würde es überhaupt kein Lösegeld geben.
Priamos sagte: »Das Lösegeld soll bei Sonnenaufgang vor den Mauern von Troia und vor unseren Augen ermittelt werden, Prinz Achilleus, bis zur letzten Unze.« König Priamos verneigte sich schnell, damit Achilleus nicht die zornige Verachtung auf seinem Gesicht sah.
Achilleus lächelte. Er hatte bekommen, was er wollte - und das in Gegenwart seiner Verbündeten.
»Trink mit mir auf den Handel, König von Troia .«
»Danke«, sagte Priamos; es war überdeutlich, daß er es vorgezogen hätte, Achilleus ins Gesicht zu spucken. Aber er hob höflich den Becher, den der Prinz ihm reichte, und trank etwas, ehe er ihn an Polyxena und dann an Kassandra weitergab. Sie setzte den Becher an die Lippen, ohne zu trinken, denn sie wußte, sie wäre an diesem Wein erstickt.
»Darf ich nun Hektors Leichnam haben, damit seine Mutter und seine Schwestern ihn für das Begräbnis vorbereiten können?«
»Er wird dir gewaschen, geölt und gesalbt und geziemend gekleidet bei Sonnenaufgang vor den Mauern übergeben, wenn das Lösegeld bezahlt ist«, erwiderte Achilleus.
»Achilleus, im Namen von Zeus, dem Donnerer!« platzte Agamemnon heraus. »Der König von Troia ist kein Betrüger! Gib ihm, was du ihm versprochen hast!«
»Ich glaube nicht, daß ein Vater den Leichnam in diesem Zustand sehen möchte«, entgegnete Achilleus langsam und blickte Priamos dabei an. (Ein grausames Kind; es reißt den aus dem Nest gefallenen Vögeln die Flügel aus.) »lch möchte auch, daß Hektor so aussieht, daß seine Mutter ihn anblicken kann. «
»Prinz Achilleus, du bist so gütig, wie wir alle schon immer geglaubt haben, daß du edel bist«, sagte Kassandra schnell. (Ja, genauso, wie wir geglaubt haben.) »So sei es also, bei Sonnenaufgang, Prinz Achilleus. «
Sie zupfte ihren Vater am Ärmel; Priamos hatte den Kopf gesenkt und weinte. Sie stützte ihn, und Polyxena nahm seinen anderen Arm, als sie das Zelt verließen - schnell, damit Priamos das Lachen nicht hörte, in das Achilleus ausbrach.
11
Nach ihrer Rückkehr befahl Priamos allen Angehörigen der königlichen Familie, den goldenen Zierrat im Palast zusammenzutragen. Er verlangte die goldenen Halsketten, Ohrringe und Ringe der Frauen, die goldenen Becher von der Tafel, ehe er die Schatzkammern öffnen ließ. Das Gold wurde zur Stadtmauer getragen.
Priamos bat den Apollontempel um einen Priester, der eine Waage aufstellen sollte. Khryse kam, und er war zum ersten Mal tatsächlich so beschäftigt, daß er von Kassandra keine Notiz nahm, während er an der Aufhängung arbeitete und mit den Gewichten hantierte. Kassandra beobachtete ihn dabei und verstand
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